■ Nachschlag: Es geht auch abgespeckt – „Der Liebestrank“ an der Neuköllner Oper
An der Neuköllner Oper wird abgespeckt. Daß trotz finanzieller Bedrängnis zahlreiche Neueinspielungen, Uraufführungen und Wettbewerbe zustande gebracht werden können, hat die Bühne in den letzten Jahren zur Genüge vorexerziert (wofür sie auch immer wieder als Paradebeispiel herhalten muß). Selbstverständlich gelingt solches Haushalten nur bei nicht allzu opulenten Inszenierungen. Rückt man indessen der ausstattungsintensiven „großen Oper“ zu Leibe, so muß Wirtschaftlichkeit geradezu das Programm werden. So geschehen in der neuesten Premiere, anläßlich einer Neufassung von Gaetano Donizettis „Liebestrank“.
Zunächst einmal: Es funktioniert. Fünf Sängerinnen, ein leicht verstimmtes Klavier und eine ganz große Oper in einem schmalen Handtuch von Theater – das paßt wider Erwarten gut zusammen. Sachkundig zurechtgestutzt von Wolfgang Böhmer und Robert Nassmacher, transportiert die Musik im kleinen alle Leidenschaften der Oper, großartige Liebe ebenso wie kleinliche Eifersucht. Die musikalische Qualität ist, bei aller Sparsamkeit, bestens: hochprofessionelle SängerInnen, virtuos vom Klavier durchs Geschehen gelotst. Mit viel Esprit wird die Geschichte erzählt. Die Geschichte? Hier sitzt der Haken! Denn weil mit dem ganzen Tand und Glitzer leider auch die Aura der großen Oper eingespart wird, offenbart sich um so deutlicher das unerträglich flache Sujet (so dumm, daß es auf die noch dümmere Formel zu bringen wäre: 2 Männer, 2 Frauen = 4 Probleme). Da hilft es wenig, daß Adriana Altaras (in ihrer ersten Opernregie) die Sache ins Ironische hinüberretten will. Vergebens: Der auf Woody Allen frisierte, verklemmte Busengrapscher Nemorino ist eine ebenso stereotype Figur wie Ledermann Belcore mit Klappmesser – von den kichernden und allzeit koketten Frauen mal ganz abgesehen. Selbst wenn man über dieses miese „doing gender“ mit Humor hinwegzusehen vermag, so stellt sich doch angesichts einer derart sinnentleerten Geschichte die Frage, was die Neuköllner Oper eigentlich mit diesem „Liebestrank“ wollte. Sie hat gezeigt, daß es auch abgespeckt geht, und ganz schön professionell. Aber wozu? Christine Hohmeyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen