Nachruf auf Wladimir Bukowski: Dissident und Gewissenshäftling
Der Russe Wladimir Bukowski ist am Sonntag mit 76 Jahren gestorben. Er arbeite zum Missbrauch der Psychatrie und saß dafür 12 Jahre in Lagerhaft.
Zwischen 1963 und 1976 verbrachte Wladimir Bukowski zwölf Jahre lang im Gulag. Mehrere Jahre saß er auch im bekannten Lager Perm 35 im russischen Norden.
Erst 1976 wurde der 35jährige zusammen mit seiner Mutter auf dem Flughafen in Zürich gegen den verhafteten chilenischen Chef der Kommunisten, Luis Corvalan, ausgetauscht.
Bukowski sei ein „Mensch von unerhörter moralischer Statur“, urteilten Mitgefangene und ehemalige Dissidenten in der Sowjetunion. Ohne Bukowskis Enthüllungen über den Missbrauch der sowjetischen Psychiatrie wären die Methoden der sowjetischen Überwachungsinstanzen erst nach Jahren bekannt geworden.
Abweichende Meinungen
Schon 1963 wurde Wladimir Bukowski in eine psychiatrische Anstalt im damaligen Leningrad eingewiesen. Von Schule und Universität war er wegen abweichender Meinungen bereits vorher ausgeschlossen worden. „Seine Persönlichkeit entspricht nicht der eines sowjetischen Studenten“, lautete das Urteil der Pädagogen und Geheimdienstler.
Schon früh hatte er versucht, Milovan Djilas Buch „Die neue Klasse“ zu vervielfältigen: Eine der ersten Abrechnungen mit dem frühen kommunistischen System auf dem Balkan aus der Feder eines enttäuschten Kommunisten aus Montenegro. Bukowski wurde auch danach noch mehrfach zu psychiatrischen Behandlungen eingewiesen.
1970 wollte er mit Dokumenten belegen, dass die Psychiatrie aus politischen Gründen „andersdenkende“ Patienten missbrauchte. Er wurde erneut belangt und zu sieben Jahren Haft verurteilt.
Zuvor hatte er eine führende Rolle in der kleinen Moskauer Dissidentenbewegung bekleiden können. 1968 war auch in der Sowjetunion ein bewegtes Jahr. Die UdSSR schlug die Reformbewegung Alexander Dubceks, den Prager Frühling, durch den Einmarsch der Sowjetarmee nieder.
Liberale Opposition
Auch im Exil blieb Bukowski Russland verbunden. In den 2000ern nahm er an Versuchen teil, eine tragfähige liberale Opposition zu gründen. Darunter waren Schachweltmeister Garri Kasparow und der 2015 ermordete Ex-Vizepremier Boris Nemzow. An der Präsidentschaftswahl 2008 wollte er teilnehmen, konnte das aber nicht, da er die Voraussetzung nicht erfüllte, vor der Wahl zehn Jahre in Russland gelebt zu haben.
In den letzten Jahren war Bukowski schwer krank und wurde überdies verdächtigt, kinderpornographische Fotos heruntergeladen zu haben. Aus gesundheitlichen Gründen wurde der Prozess immer wieder verschoben und schließlich eingestellt. Die Vorwürfe bestritt er vehement und äußerte auch den Verdacht, der russische Geheimdienst stecke hinter den Anschuldigungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern