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Nachruf auf Schauspieler Rolf BeckerKlare Kante

Der Schauspieler, Sprecher, Rezitator und Aktivist Rolf Becker ist am 12. Dezember im Alter von 90 Jahren in Hamburg gestorben. Ein Nachruf.

Schauspieler und Aktivist: Rolf Becker ist im Alter von 90 Jahren gestorben Foto: Elisa Schu/dpa

Im Mai 2023 sprach Rolf Becker im Stadttheater Bremerhaven ein Gedicht der Sintizza Philomena Franz, die ein halbes Jahr vorher im Alter von 100 Jahren gestorben war. „Als ich ein Kind war, sah ich die Steine als Blumen“, beginnt es und endet mit einem Blick, der „nur noch in steinerne Gärten“ sieht.

Das Gedicht war Teil des dokumentarischen Musiktheaterstückes „Blumen an der Karlsburg“, das die Verfolgungsgeschichte der Sinti in Bremerhaven thematisiert und in dem Becker den Ermordeten und ihren Angehörigen eine Stimme verlieh.

Nach jeder Strophe griffen jugendliche Sän­ge­r:in­nen eines Bremerhavener Schulchors den Text im Wechselspiel auf und schon bei den Proben war spürbar, welch tiefen Eindruck die Stimme und Persönlichkeit Beckers bei ihnen hinterließen. Er unterbrach, machte Vorschläge, lobte – behandelte sie wie Kollegen, freundlich und professionell.

Becker hatte nicht lange überlegt, als er um die Mitarbeit an diesem Projekt gebeten worden war. So wie er Zeit seines Berufslebens unzählige Anliegen unterstützt hat, die es ihm wert erschienen. Nicht als einer, der hin und wieder für einen guten Zweck auf die Bühne tritt, sondern als einer, der auch dahin ging und Hilfe leistete, wo keine Kamera stand, 1975 nach Vietnam oder vor ein paar Jahren in Flüchtlingslager in seiner zweiten Heimat Griechenland.

Angeeckt war Becker bereits bei einem seiner ersten Theater-Engagements in Bremen, wo er 1969 nach politischen Auseinandersetzungen entlassen wurde

Er war verlässlich da, wenn man ihn brauchte, bei Gewerkschaftskundgebungen, Erinnerungen an die Bremer Räte-Republik oder der jährlichen Lesung aus von den Nazis verbrannten Büchern in seinem langjährigen Wohnort Hamburg.

So sehr er als Schauspieler, Synchronsprecher und Rezitator von seinen feinen Zwischentönen lebte, so sehr zeigte er klare Kante in politischen Fragen. Er war überzeugt von der Existenz einer Klassengesellschaft, die es zu überwinden gilt.

Zum Ukraine-Krieg sagte Becker bei der Verleihung des Rosa-Luxemburg-Preises an ihn im Mai in Berlin laut Junge Welt, dass uns die Erinnerung an die 27 Millionen von Deutschland ermordeten Bürger der Sowjetunion dazu verpflichte, den Frieden zu bewahren. „Schluss mit allen Waffenlieferungen, alles tun, um Verhandlungen durchzusetzen“, brachte er seine Haltung auf dem roten Sofa im NDR-Fernsehen unters breite Publikum.

Gegen Antisemitismus und für die Rechte der Palästinenser

Er kämpfte an der Seite von Esther Bejarano, für die er 2021 die Trauerrede hielt, gegen Antisemitismus, trat aber genauso konsequent für die Rechte der Palästinenser ein. Er hatte keine Angst, anzuecken, als er sich für die Freilassung des damaligen RAF-Häftlings Christian Klar einsetzte und zu seinem ehrenamtlichen Betreuer wurde.

Angeeckt war Becker bereits bei einem seiner ersten Theater-Engagements in Bremen, wo er 1969 nach politischen Auseinandersetzungen entlassen wurde. In Bremen, wo er nach seiner Geburt in Leipzig und einigen Jahren auf dem Bauernhof der Großeltern in Schleswig-Holstein gelandet war, hatte Becker auch Abitur gemacht, bevor er nach München auf die Schauspielschule ging.

Neben Engagements unter anderem am Thalia-Theater und im Hamburger Schauspielhaus wirkte er ab 1969 in zahlreichen Spielfilmen mit wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta oder „Nordsee ist Mordsee“ von Hark Bohm.

In seine Geburtsstadt Leipzig kehrte Becker ab 2006 regelmäßig für eine Rolle in der ARD-Serie „In aller Freundschaft zurück“. Seine TV-Arbeiten führte er mit der gleichen Hingabe und Ernsthaftigkeit aus, die er überall an den Tag legte, aber auch von seinen Kollegen erwartete. Wie von den jungen Sän­ge­r:in­nen aus Bremerhaven, die mit ihm eine großartige Erfahrung in Sachen gleichberechtigter Zusammenarbeit machten und bei der Premiere zur Höchstform aufliefen.

Hinweis: Der Autor hat gemeinsam mit Dardo Balke die Musiktheaterstücke „Drei Tage im März“ sowie „Blumen an der Karlsburg“ geschrieben und inszeniert, in denen Rolf Becker als Erzähler mitwirkte.

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