Nachruf auf Ruth Wolf-Rehfeldt: Die Grenzen der Unendlichkeit
Sie zeichnete mit der Schreibmaschine und schickte von Ostberlin Mail Art in die Welt. Mit 92 Jahren ist die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt gestorben.
Um Zeichenfindung war es ihr immer gegangen, darum, in ihrer Kunst Gedanken, Empfindungen und Absichten auszudrücken und diese auch zu vermitteln. Jahrelang habe sie – so beschrieb es Ruth Wolf-Rehfeldt in den frühen 1970er Jahren in ihrem Manuskript „Signs Fiction“ – an bildnerischen und sprachlichen Problemlösungsversuchen gearbeitet. Früchte hätten diese zwar durchaus getragen, voll befriedigt habe sie jedoch nichts davon. Sie musste erst beides miteinander verbinden, das Visuelle und den Text. Die Künstlerin fand ihr Medium, als sie begann, grafische Bilder mit der Schreibmaschine zusammenzutippen und als Mail-Art von Ostberlin aus in die Welt zu verschicken.
Ruth Wolf-Rehfeldt wurde am 8. Februar 1932 im sächsischen Wurzen geboren und zog 1950 nach Ostberlin. Dort lernte sie ihren Mann Robert Rehfeldt kennen und nahm eine Arbeitsstelle im Büro der Ausstellungsabteilung der Akademie der Künste an. In ihrer Freizeit war sie auch selbst künstlerisch tätig, als Autodidaktin zeichnete sie, malte, fertigte Collagen an. In den 1960ern begann sie Gedichte zu verfassen, oft nur aus wenigen Zeilen bestehende, zarte, der konkreten Poesie nahestehende Kunstwerke, festgehalten mit ihrer Schreibmaschine.
Überhaupt sollte ihre „Erika“, ein Koffergerät aus dem VEB Schreibmaschinenwerk Dresden, bald zu Wolf-Rehlfeldts wichtigstem Produktionsmittel werden. Kleine minimalistische Grafiken in DIN A4, die sie mit ihrer Schreibmaschine ab den 1970er Jahren erstellte, wurden ihr Markenzeichen. Visuelle Kompositionen, die sich zu breitbeinigen Figuren formieren, zu Schmetterlingen oder anderen Insekten, zu Wellenlinien, abstrakten Formen, architektonischen Räumen, Zeichen und Mustern, zusammengesetzt nur aus Buchstaben und Sonderzeichen. „Typewritings“ nannte die Künstlerin diese Arbeiten.
Optischen Spielereien gleichen manche davon, in vielen anderen setzte sie sich mit den Themen auseinander, die sie beschäftigten, mit Umweltzerstörung und der Verantwortung des Menschen, mit Freiheit, mit Krieg und Frieden, mit existentiellen und politischen Fragen, aber auch mit Zwischenmenschlichem.
Verbreitung auf dem Postweg
Ab 1975 war Wolf-Rehfeldt Mitglied des Verbands bildender Künstler der DDR. Dieser erlaubte ihr lediglich, 50 signierte Exemplare einer Grafik zu drucken. Für maximale Wirksamkeit verschickte Wolf-Rehfeldt Kopien davon als „Mail Art“ ins Ausland. Gemeinsam mit ihrem Mann Robert Rehlfeldt war sie vor allem in den 1980ern mit Künstler*innen aus aller Welt durch ein lebendiges Netzwerk verbunden. Wolf-Rehlfeldt war eine der wenigen Künstlerinnen in der Mail-Art-Bewegung, die mit ihrer Verbreitung durch den Postdienst schwer kontrollierbar war und daher unter anderem eine wichtige Rolle in subversiven Bewegungen der DDR hatte.
Mit der Wende und allem, was diese nach sich zog, stellte Wolf-Rehfeldt ihre künstlerische Arbeit ein. Vollständig. Keinen Sinn mehr sah sie in ihrem Engagement, in der Mail Art an sich. Erst recht, als später die E-Mail aufkam. Sie hätte eben keinen Drang gehabt, noch irgendetwas zu machen, was die Welt nicht brauche. So erklärte sie es 2018 in einem Gespräch mit der Kunsthistorikerin Kathleen Reinhardt.
Ruhig war es lange um sie. Ruth Wolf-Rehfeldt lebte zurückgezogen in Berlin-Pankow, bis der Kunstbetrieb sie im hohen Alter wiederentdeckte. 2012 richtete das Bremer Weserburg Museum anlässlich ihres 80. Geburtstages eine Retrospektive aus. 2015 lernte die Berliner Galeristin Jennifer Chert durch eine Recherche Wolf-Rehfeldts Werk kennen, zeigte dieses erstmals 2016 bei der Kunstmesse Art Basel.
2017 folgte ihre Teilnahme an der documenta 14 in Kassel, mit der ihr mit 85 noch einmal ein großer Sprung zum Ruhm gelang. 2021 wurde ihr der Gerhard-Altenbourg-Preis verliehen, 2022 erhielt sie den Hannah-Höch-Preis des Landes Berlin für ihr Lebenswerk. 2023 zeigte das Potsdamer Museum Das Minsk eine große Retrospektive mit einem Titel, der untertriebener kaum formuliert hätte sein können: „Nichts Neues“.
Wie ihre Galerie ChertLüdde am Dienstag mitteilte, ist Ruth Wolf-Rehfeldt am 26. Februar im Alter von 92 Jahren gestorben. Was bleibt, sind ihre Werke. Die berühren nach wie vor, wirken noch immer radikal zeitgemäß: ihre mit einfachen Mitteln geschaffenen Sprach-Bilder, ihr hintergründiger Witz, ihr eigenwilliger, dabei überaus virtuoser Stil, ihre engagierten und doch oft hoffnungsfrohen Botschaften.
„Für eine kurze Zeiteinheit / Trat Helle in die Dunkelheit / Ich sah die Grenzen der Unendlichkeit / Sah meine Grenzen / Fern und weit / Und fühlte taumelnd / Diese Ewigkeit / Wird meine Zeit sein / Und ich kann Unendliches vollbringen“, schrieb sie in einem ihrer frühen Gedichte. Nachzulesen im kleinen, leider vergriffenen Band „Mühsam wachsende Strukturen“, den der Verlag Lutz Wohlrab 2015 veröffentlichte.
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