Nachruf auf Popkünstlerin Sophie: Mit eigenem Softdrink
Die schottische Künstlerin Sophie ist in der Nacht auf Samstag tödlich verunglückt. Ihre Konzeptkunst-Klangsignaturen leben weiter.
Manche Popsongs haben Textzeilen, in denen sich eine ganze Welt erschließt. Die schottische Elektronikproduzentin Sophie hat einen solchen geschrieben. „I'm real when I shop my face“, singt sie auf ihrem Song „Faceshopping“: „Real bin ich, wenn ich mein Gesicht photoshoppe.“
Sich „real“ zu fühlen, das ist ein geflügeltes Wort für die Freiheit, über sich selbst bestimmen zu können. Pop bietet diese Möglichkeit wie kaum eine andere Kunstform. In den Voguing Ballrooms von New York konnten sich Ende der Achtzigerjahre alle jene „real“ fühlen, die mit Crossdressing und Tanz der Gewalt entkommen wollten, die sie wegen ihres Geschlechts oder ihres Begehrens (oder beidem) erlebt hatten.
Auch Sophie hat ihre realness in der Künstlichkeit gefunden. Ihre frühen Singles waren Konzeptkunst im Stil von Pop-Art: ein gerendertes Objekt – eine Rutsche, ein Pfeil, ein geschlängeltes Rohr – vor weißem Hintergrund. Als Teil des Labels PC Music entwarf die schottische Künstlerin parallel dazu die Kunstfigur „QT“: ein Popstar mit eigenem Softdrink, für dessen Werbung Sophie den Soundtrack komponierte. Ihre eigene Musik war hochverdichteter Pop. Fast wirkte es, als würde Sophie die durch Geschlechtszuschreibungen erzeugte Dysphorie auf ihren Tracks durch eine Aneinanderreihung von Euphoriemomenten ersetzen. „I can make you feel better – if you let me“, singt eine Micky-Maus-Stimme auf „Bipp“, darunter liegt ein verstolperter R&B-Beat, über dem sich synthetische Streicher in Gefühlshöhen schrauben.
Neunzigerjahre-Optimismus
Sophies Musik nimmt den Dancefloor-Optimismus des goldenen Rave-Zeitalters der 1990er Jahre auf, diese Ära hatte Sophie durch die Plattensammlung ihrer Eltern in Glasgow kennengelernt. Als öffentliche Person trat sie erstmals 2017 in Erscheinung. Auf dem Cover ihrer Single „It’s okay to cry“ zeigt sie sich als Transperson mit hennaroten Locken und Lippenstift.
Ebenfalls ihr Debüt gab darauf ihre Stimme: androgyn und theatralisch. „Trans zu sein, bedeutet, die Kontrolle darüber zu haben, seinen Körper stärker in Einklang mit seiner Seele zu bringen,“ sagte sie kurz darauf in einem Interview. Sich „real“ zu fühlen, also. Auf dem nachfolgenden Album „Oil of Every Pearl’s Un-Insides“ oszillierte Sophie zwischen Hyperpop-Melodien und abstrakten Klangspielereien – Ohrwurm-Refrains kontert sie verzerrten Bassdrums und metallischen Soundeffekten, als wären diese schon immer beste Freunde gewesen.
Das Album wurde für einen Grammy nominiert. Gewonnen hat Sophie die Auszeichnung damals nicht, Anerkennung hatte sie ohnehin schon gefunden. Egal ob Underground-Rapper Vince Staples, Maschinenfunk-Produzent Jimmy Edgar oder Lady Gaga – alle wollten Sophies Signatur-Sound in ihrer Musik hören und ließen sich von ihr Songs und Alben produzieren. In der Nacht zu Samstag ist Sophie vom Dach ihres Hauses in Athen gestürzt. Sie wollte den Vollmond betrachten. „So wie es ihrer Spiritualität entsprach“, wie ihr Label Transgressive auf Twitter schrieb. Sophie wurde 34 Jahre alt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!