piwik no script img

Nachruf auf OlympiasiegerDer Warmduscher

Roland Matthes, der erfolgreichste deutsche Schwimmer, ist tot. Der Rückenspezialist des SC Turbine Erfurt brach 21 Weltrekorde.

„Nicht alles ist mit Doping zustande gekommen“: Matthes beim Europacup in Würzburg im Jahr 1969 Foto: imago

In Erfurt definiert man sich gern über sportliche Erfolge. Die Eisschnelllaufhalle im Süden der Stadt ist nach Gunda Niemann-Stirnemann benannt, und die ehemalige Süd-Schwimmhalle, zwei Steinwürfe davon entfernt, heißt seit 2011 Roland-Matthes-Schwimmhalle. Hier hat Matthes Tausende von Kilometern im Chlorbecken abgespult.

Das Schwimmen hat der wohl größte Rückenschwimmer aller Zeiten allerdings im Hermannsbad gelernt, einem ollen 25-Meter-Becken in der Nähe des Doms, das zu DDR-Zeiten den Charme einer Besserungsanstalt verströmte.

Wie eigentlich alle sportlich halbwegs begabten Kinder unterzog man den kleinen Roland Matthes einer Sichtung. Er landete bei den Leichtathleten und den Schwimmern, was ein wenig verwundert, denn das „Sensibelchen“, als das er galt, musste sich dem besonders rauhen Ton der Schwimmlehrer im Sportklub des SC Turbine Erfurt stellen. Doch er hatte wohl Glück, weil er an die Trainerin Marlis Grohe geriet, die den Jungen nicht nur stumpf trainierte, also Kacheln zählen ließ, sondern ihn auch ein wenig bemutterte.

Ästhet im Schwimmbecken

Noch heute kennt man in der Schwimmszene die Geschichten von dem Jungen, der, weil er zu Hause nur ein Klo auf halber Treppe und kein eigenes Bad hatte, sich ewig unter die Dusche stellte, um sich das warme Wasser auf den Kopf rieseln zu lassen. Vielleicht war es das, was ihn bereitwillig zum Kaderschwimmer werden ließ, zum Olympiasieger von Mexiko und München, 1968 und 1972, zu einem Athleten, der 21 Weltrekorde aufstellte und von April 1967 bis August 1974 bei Rennen ungeschlagen blieb. Sein ästhetischer Schwimmstil war berüchtigt.

Die britische Journalistin Pat Besford nannte den Thüringer im Swimming World Magazine den „Rolls Royce im Wasser“; seine „außergewöhnlich runde Rückenhaltung ermöglicht ihm in Verbindung mit ausgefeilter Schlagtechnik eine elegante Gleitfähigkeit im Kampf mit dem nassen Element“, wollte die Schreiberin erkannt haben. Andere nannten ihn den „Mark Spitz des Rückenschwimmens“.

Er selbst hatte es mit solchen Superlativen nicht so gehabt, „ich sehe mich als Mensch wie jeder andere auch. Damals war der Sport noch Kultur, heute geht es in die Richtung Un-Kultur, Entertainment. Ich bin noch erzogen worden, die Rübe nicht über die anderen hinauszustecken“, sagte er in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen.

„Mein Langer braucht Bananen“

Makellos war der Sport freilich schon damals nicht. Die DDR baute ihre Erfolge auf dem Fundament des Medikamentenmissbrauchs auf. Matthes und Grohe gaben stets an, die Hände von dem Teufelszeug gelassen zu haben. Angeblich habe bereits 1970 ein Berliner Sportfunktionär die Erfurter Trainerin auf „unterstützende Mittel“, also Dopingsubstanzen wie Oral-Turinabol, angesprochen, sie habe aber geantwortet: „Mein Langer braucht Bananen, keine Pillen.“

Das erinnert so ein bisschen an den Erklärungsversuch des Erfurter Gehers Hartwig Gauder, Olympiasieger von 1980, dessen Wundermittel aus einem Sud aus Waldheidelbeeren bestanden haben soll. Matthes gab vor, in der Provinz abseits der großen Dopingströme gesessen zu haben und schon allein deswegen nicht in Versuchung gekommen zu sein. Aber gedopt wurde natürlich nicht nur beim SC Dynamo Berlin, sondern auch im Sport-Club Turbine.

Matthes war als Leistungssportler in der DDR privilegiert. Mit 22 kaufte er sich einen Wartburg, nach dem Karriereende baute ihm die Partei ein stattliches Einfamilienhaus am Rand des Erfurter Steigerwaldes. Dort wohnte er mit der Schwimmerin Kornelia Ender als Traumpaar des DDR-Sports, doch als die Ehe nach vier Jahren endete, musste Matthes das Haus verlassen.

Er fiel in Ungnade, weil er es gewagt hatte, auf der Nichteinmischung in sein Privatleben zu bestehen. Nach seinem Studium als Sportlehrer an der DHfK in Leipzig sattelte er noch ein Medizinstudium an der Uni Jena drauf. Er wurde Arzt in der orthopädischen Klinik von Erfurt, gleich um die Ecke vom Hermannsbad.

Nach dem Mauerfall suchte er seine Chance im Westen, arbeitete dem legendären Fechttrainer Emil Beck in Tauberbischofsheim zu, verließ ihn aber, als er das Gefühl hatte, den Trainergott nur noch von A nach B chauffieren zu müssen. Er kaufte eine Praxis im Spessart, wo er – logisch – ein Spezialist für Rücken wurde. 2006 wurde er in die Ruhmeshalle des deutschen Sports aufgenommen.

Am Freitag ist Roland Matthes mit 69 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Gute Reise Roland Matthes.

    Mexiko 1968 2xGold

    www.youtube.com/watch?v=sChj-Qfo-vk

  • Wieso nur hab ich manchmal das blöde Gefühl, gewisse Sportkommentatoren West sind bis heute nicht darüber hinweg gekommen, dass (mehr oder weniger gedopte) Westdeutsche nicht alle Welt-und sonstigen Rekorde stellvertretend für ihre Fans „heim ins Reich geholt“ haben, sondern ein paar Ossis auch unter den ganz „Großen“ des Sports waren. Dass die gar nicht unbedingt was Besseres sein wollten als ihre Neider, tut dem Neid offenbar keinen Abbruch.