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Nachruf auf Musikmanager Alfred HilsbergDie Verhältnisse zum Platzen bringen

Alfred Hilsberg brachte den Punk nach Deutschland und verkörperte mit seinem Label Zickzack D-i-Y-Spirit. Nachruf auf einen genialischen Macher.

Alfred Hilsberg im Kaffee Burger in Berlin, 2006 Foto: Roland Owsnitzki/Votos/imago

„Das…Interessanteste an Punk ist…, dass damals eine ganze Generation einen Ausdruck für eine bestimmte Lebensenergie gefunden hatte…Diese Energie könnte man Liebe nennen. Oder Zuwendung. Freude.“ Was Jürgen Teipel 2012 in einer erweiterten Neuausgabe seiner Oral-History „Verschwende Deine Jugend“ im Vorwort als Geisteshaltung der späten 1970er ausgemacht hatte, läuft den negativen Klischees von Punk fundamental entgegen.

In seinem D-i-Y-Spirit stecken Power, Speed und Affirmation. All das hatte Alfred Hilsberg zu einem denkbar frühen Zeitpunkt wahrgenommen. Im heißen Sommer 1976 war er mit seinem Freund Moishe Moser in London gewesen, sah Konzerte der ersten britischen Punkbands und kam mit einem Kofferraum voller Singles und Tatendrang zurück nach Hamburg.

„Punk war für mich Auslöser, selbst was zu machen.“ Hilsberg, der sich damals als „Medienarbeiter“ bezeichnete, war da bereits gestählt durch jahrelange, teils selbstzerfleischende Kämpfe im linken Milieu: Zwischen Stadtteilinitiativen, Filmcooperativen und Politsekten. Der gebürtige Wolfsburger, dessen Vater bei VW tätig war, kam 1968 nach Hamburg, wird Geschäftsführer der linken „Filmmacher Cooperative“ und half beim Verleih von sogenannten „Zielgruppenfilmen“.

Körperliche Gewalt

Debatten werden zu jener Zeit teilweise auch mit körperlicher Gewalt ausgetragen. Hilsberg wird bei einer tätlichen Auseinandersetzung von Maoisten die Nase gebrochen. Einen Teil seines Erbes spendet er dem Kommunistischen Bund. Mit dem RAF-Mitglied Ulrich Wessel, der sich beim Überfall auf die Deutsche Botschaft in Stockholm 1975 in die Luft sprengte, lebte Hilsberg zeitweilig in einer WG. Den bewaffneten Kampf lehnte Hilsberg trotzdem strikt ab. Genauso wenig passte ihm das repressive politische Klima rund um den deutschen Herbst

„Es gab damals in Westdeutschland keine Jugendkultur. Der Zusammenbruch der K-Gruppen hatte ein großes Vakuum hinterlassen,“ schilderte Hilsberg in „Verschwende Deine Jugend“ die bleierne Zeit. Umso befreiender mutete Punk an. Obwohl er selbst, halblanges, leicht fettiges Haar, schwarzer Anzug, weißer Schal, nicht die Bohne nach Punk aussah, eine Mufftype war er jedenfalls auch nicht. Nennen wir ihn Impresario.

1977 organisierte Hilsberg Tourneen der Londoner Bands The Vibrators und The Stranglers durch Westdeutschland. Es gab damals noch keine Punkszene hierzulande, aber in einigen Großstädten sprang der Funke auch durch Hilsbergs Engagement über, Individuen bildeten Haufen, Haufen sammelten sich: Wumms. „Die Revolution ist vorbei – wir haben gesiegt“, schrieb er 1978 im Musikmagazin „Sounds“ durchaus selbstbewusst und propagierte dort die neue Welle.

Pädagogisches Gesamtkonzept

Immer mehr Bands entstanden, teils sangen sie auf Deutsch. Abwärts, Geisterfahrer, The Wirtschaftswunder, FSK, Einstürzende Neubauten, Kosmonautentraum….Hilsberg veranstaltete Festivals wie „Geräusche für die 80er“ in der Hamburger Markthalle, und ließ als „pädagogisches Gesamtkonzept“ Punk auf Artschool prallen. Zum Plattenmachen kam er scheinbar, wie die Jungfrau zum Kinde. „Ich hatte zuerst gar kein Label machen wollen, ich wusste ja gar nicht, was das ist.“

Im Karoviertel wurden die Deals gemacht: In Hilsbergs kleiner Wohnung in der Glashüttenstraße, auf dem Bett liegend, oder in der nahen Kneipe „Marktstube“, wenn es hieß: „Noch mal zwei Bier auf Alfred“. Die erste Single der Neubauten soll per Bierdeckel-Unterschrift besiegelt worden sein. Das Spontane, Tatendurstige hat auch den Filmemacher und Produzenten Klaus Maeck beflügelt.

Er lernte Hilsberg kennen, als er ihn im Taxi als Fahrgast durch Hamburg kutschierte. 1979 eröffnete Maeck den Plattenladen „Rip Off“ in der Hamburger Feldstraße, dann gründete er die gleichnamige Distribution, die die Platten von Hilsbergs Label vertrieb. Und er arbeitete eine Weile als Hilsbergs Chauffeur.

Der Starthelfer

„Nichts davon hatte ich geplant, aber bis heute bin ich Alfred dankbar dafür, dass er mich ermutigt hat, diesen Weg zu gehen – und ich weiß von vielen, denen es genauso geht, denn schließlich hat er eine ganze Generation von Musikern (oder auch zwei) beim Start ihrer Karriere unterstützt. Ohne sein Engagement wäre die deutsche Musikszene seit den achtziger Jahren um einige Entdeckungen ärmer geblieben,“ schreibt Klaus Maeck der taz.

Die Wühlarbeit von Zickzack blieb zunächst von Erfolg gekrönt, Hilsberg veröffentlichte ohne Unterlass neue Singles und Alben nach dem Motto „Lieber zuviel als zu wenig“. Profite – etwa aus den guten Verkäufen vom Abwärts-Debütalbum „Amok/Koma“ – steckte er jeweils in neue Projekte. „Ich habe mir überhaupt keine Gedanken gemacht, nicht mal über das Finanzamt.“ Anders die Majorlabels, die um 1982 Wind von der „neuen Deutschen Welle“ bekamen, aus dem kantigen, selbstgemachten Punk und New Wave mit Dödelsongs von schlagerhaften Epigonen wie Markus und Fräulein Menke, die Luft rausließen und damit absahnten.

Hilsberg gab an, dass er 1983 um die sechs Millionen Mark Schulden angehäuft hatte. Bands wie Palais Schaumburg wanderten enttäuscht ab. Dennoch hat er immer wieder Geld aufgetrieben, neue Platten veröffentlicht und so wurde er gegen Ende der 1980er Jahre auch zu einem der Geburtshelfer der Hamburger Schule. Und veröffentlichte die ersten Alben von Blumfeld und Cpt. Kirk &. Wenn Zickzack teilweise inaktiv blieb, startete er die Label What’s So Funny About und Scratch’n’Sniff. Bis zum Schluss war Hilsberg an neuer Musik interessiert, förderte etwa den Berliner Künster Jens Friebe.

„Alfred hat Wege gefunden, Türen geöffnet, Anstöße gegeben, Menschen und Projekte auf den Weg gebracht, Ideen entstehen lassen und dann bei ihrer Verwirklichung entscheidend geholfen. Längst nicht alles hat funktioniert, was er gemacht hat, aber er hat die Enge der deutschen Musikwelt zum Platzen gebracht. Danach war nichts mehr wie vorher,“ sagt Detlef Diederichsen, heute taz-Autor und mit seiner Band (Ede und) Die Zimmermänner seit 1980 bei Zickzack.

Am Montag ist Alfred Hilsberg nach langer Krankheit in Hamburg gestorben. Ersetzbar ist er nicht. Es ist wichtig, dass sein Werk, – die Internetplattform Discogs zählt allein 225 Veröffentlichungen auf Zickzack – nicht in Vergessenheit gerät. Es ist zudem wichtig, dass in seiner Heimatstadt an ihn erinnert wird und es außerdem wichtig, dass diese immense Menge, der von Hilsberg veröffentlichten Musik zugänglich bleibt.

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