Nachruf auf Jeanne Moreau: Schön in jeder Hinsicht
Jeanne Moreau, eine der prägnantesten Frauen des europäischen Nachkriegskinos, ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Eine Würdigung.
François Truffaut mochte diesen seiner Filme nicht so sehr – zu robust gestrickt sei die Geschichte der Braut, deren Geliebter im Moment der Hochzeit versehentlich durch eine feierlustige, alles in allem widerliche Männerrunde erschossen wird. Diese Braut spielte Jeanne Moreau, und sie tat es in jeder Hinsicht so entschlossen, so glänzend, so ruchlos und mutig, dass sie schon deshalb zur Ikone von Frauen, des Feminismus überhaupt werden musste: Julie Kohler, also Jeanne Moreau, bringt nämlich die Täter, die Mörder ihres Mannes in Erfahrung – und tötet sie alle im Laufe der restlichen 91 der 107 Minuten des Films „Die Braut trug schwarz“.
Man muss, um die Delikatesse der Geschichte selbst ermessen zu können, anfügen, dass Moreau ihre Rolle wie zu leben schien: eine Frau, die Vergeltung nehmen musste, weil durch besoffen gestimmte Gedankenlosigkeit ihr das größte Glücksversprechen geraubt wurde. Den einen erstickt sie, der andere wird vergiftet, einen Dritten stößt sie von einer Ballustrade, den Vierten schickt sie aus dem Leben als Model – Göttin Diana sucht mit ihrem Pfeil den Künstler heim. Den fünften Mann kriegt sie nur, indem sie sich selbst ins Gefängnis stecken lässt – und ersticht ihn in seiner Zelle. Abspann, keine weiteren Erklärungen, Werk vollbracht, die Moreau mehr denn je, Ende der sechziger Jahre, eine Göttin des französischen Kinos.
Und das war sie viel eher als Brigitte Bardot oder Marilyn Monroe: Die Moreau, Tochter einer Britin und eines Franzosen, wollte zunächst wie ihre Mutter Tänzerin werden – aber dieser Plan zerschlug sich, die Elevin war für diese Profession nicht trainingsfleißig genug. So kam diese Französin zum Schauspiel, viel, bis zum Ende ihres Lebens, am Theater, berühmt auch außerhalb Frankreich aber durch einen Reigen an Rollen in Filmen, die zum europäischen Nachkriegskanon zählen.
„Letzte Liebe“ (1949), „Wenn es Nacht wird in Paris“ (1954), schließlich Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“, in dem sie eine fiese Eheseitenspringerin spielt, die es am Ende mit ihrem Geliebten (Maurice Ronet) doch nicht schafft, dessen Mord an ihrem Ehemann zu vertuschen.
Truffaut liebte sie mit seinen Bildern
Über Nacht war Jeanne Moreau ein Star, eine Frau, auf die es im Film ankam – und viele Jahre ankommen musste. In welchen Rollen sie auch immer spielte, das Publikum liebte und verehrte sie, die Schauspielerin, in jedem Auftritt.
Sie war die erwachsene, die reife, erotisiert einfordernde Frau, kein erwachsen werdendes Mädchen, das mit Teenagercharme irgendwie schon automatisch zu locken und zu verführen weiß. Die Moreau, das war eine, wie sie der Filmjournalistin Claudia Lenssen ohne viel Gezimper verriet, die von sich sagte: „Ich war immer rebellisch.“
Eine Frau, die die Zügel in der Hand zu halten beanspruchte, und das mit einer umwerfenden Schönheit, die andererseits nicht den gelacktesten Normen entsprach. Ihr Mund schien immer ein wenig geöffnet, als murmele sie was auch immer; ihr immer etwas zittriger Gang, den François Truffaut zu einem Schweben inszenierte – er war womöglich jener Regisseur, der sie am liebevollsten in Bilder tauchte und aus ihnen aufsteigen ließ.
Neben ihm („Sie küssten und sie schlugen ihn“, 1959, und „Jules und Jim“, 1961) arbeitete sie auch mit Louis Malle („Die Liebenden“, 1958) zusammen, mit Roger Vadim („Gefährliche Liebschaften“, 1959), Michelangelo Antonioni („Die Nacht“, 1961) und mit Luis Buñuel („Tagebuch einer Kammerzofe“, 1964) und ebenfalls, wiederum unter der Regie von Louis Malle, in der cineastischen Revoltenoperette schlechthin, dem einzigen Film jenseits der Hippieästhetik jener Jahre, der auch lustig und lustvoll anzuschauen war: „Viva Maria“ (1965) – die Moreau mit Brigitte Bardot als gendergecrosstes postguevaraeskes Duo, das einen Aufstand gegen ein katholisch-blutiges Regime in Mittelamerika anzettelt – und mit viel Schmackes auch die Oberhand behält.
Instanz und Anstifterin zum Aufstand
Was für ein Plot: Die eine eine national-irische Terroristin, die andere Revuedarstellerin der frivolsten Sorte. Die Bardot war natürlich sie selbst, backfischhaft und freundlich, die Moreau in ihrer Rolle die Anstifterin, die niemals Verzagte, die Rachsüchtige und Gerechte. In den Kinos wurde damals viel applaudiert, wenn die Geschichte gefiel – in diesem Film ganz besonders stark, weil er alle Bilder von den Segnungen revolutionärer Taten aufrief und sie nicht verriet. Eine Art Kinderstunde der Achtundsechziger, ein Kommentar zur Lust am Aufstand, von dem die tonangebenden Kräfte ihrer Generation mit Verve träumten.
Die Moreau war in jenen Jahren längst zur Instanz des französischen Kulturlebens geworden, sie war immer eine, die das Älterwerden nicht gerade köstlich fand, aber doch mit diesem Umstand umging, anders als die Bardot, die, so Moreau, schon deshalb sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, weil sie Angst hatte, mit Vollendung des 35. Lebensjahres keine Rolle mehr zu bekommen. Die Moreau aber bekam sie, unerschrocken gern.
Rainer-Werner Fassbinder band sie in sein furioses Spätwerk mit ein, etwa 1982 in „Querelle“. Sie hat schließlich noch viele Filme gedreht, Theater gespielt, in Angers die Matronage über ein Filmfestival für junge Regisseure übernommen – und ist dabei, so liest es sich in den schriftlichen Quellen, niemals altersmilde oder spätgütig geworden.
Nun ist sie in Paris, ihrer ewigen Heimatstadt, im Alter von 89 Jahren gestorben. Sie durfte am Ende ihres Lebens erkennen, mit das prägende Gesicht, der akzentsetzende Körper der Nouvelle Vague gewesen zu sein, sie war die Frau, die sich keinem Mann unterordnen wollte, und wenn, dann nur zu ihren eigenen Regeln. Und sie sah bis in ihre letzte lebende Zeit grandios aus – alt eben, aber supermarkant und schön in jeder Hinsicht.
Sterben, um Moreau als Rächerin zu sehen
Sie lebte das Naheliegende für jede Art von Würde, nämlich nicht nur ihrer Körperlichkeit wegen geliebt und begehrt zu werden, sondern ihren Körper erst in Glanz versetzt zu haben, weil dieser zu denken wusste, eigensinnig und in Fülle. Dass ihre raue, Vertrauen schenkende Stimmlage das Ihrige dazu beitrug, in ihr eine Göttin in echt zu erkennen, ist ohnehin immer klar gewesen.
Manche Projekte, die sie sich noch auf die To-do- und To-hope-Liste schrieb, gingen nicht in Erfüllung. Etwa mitzuspielen in einem Pedro-Almodóvar-Film – sie mochte dessen Kino wie sie einen heiteren Sinn für die, streng genommen, Revuefilme Quentin Tarantinos hatte. „Kill Bill“, I wie II, waren, auch wenn Tarantino das immer bestritt, Verneigungen vor dem Film „Die Braut trug schwarz“. Hat man sie gesehen, so wünschte man sich, nur um in die Gunst dieser Rachefähigkeit zu kommen, ermordet zu werden, auf dass sie diese Tat vergelte – kalt und mit trauerndem Herzen: Jeanne Moreau war eine der ganz und gar Großen.
Arte zeigt am Montagabend um 20.15 Uhr „Tagebuch einer Kammerzofe“ und um 21.45 Uhr „Jules und Jim“
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