Nachruf auf Heidi Hetzer: Ein Leben im Rückspiegel
Sie ging nicht durchs Leben, sie fuhr: Nun wird die zu Ostern gestorbene Berliner Weltenbummlerin Heidi Hetzer im engsten Kreis beerdigt.
Dieses Geräusch: Der Sound des verleumdeten Ottomotors beim Gasgeben. Wie in der dänischen Serie „Die Erbschaft“, in der Emil, einer der Protagonisten, zum ersten Mal allein in seinem soeben ererbten Rennwagen sitzt. Im Leerlauf lässt er ihn kurz heulen wie einen Löwen – und reißt synchron den Mund auf. Als ob er es wäre, der so animalisch brüllt. Und nicht die PS vorn unter der windschnittigen Haube.
Die Sounds, die ein Auto macht, seine Kraft, seine Form – all das wurde in den letzten 130 Jahren gerne mit Symbolik belegt. Ein Auto hat im besten Falle stark, laut, sportlich und schnell zu sein. Es hat – so die gern bemühte Vorstellung – einen Einfluss auf die Stamina, und soll seinen Fahrer zu einem attraktiven, gefährlichen Mann machen, ausgestattet mit den gleichen Attributen wie sein Wagen.
Für seine Fahrerin allerdings gilt das nicht. Zumindest lassen die in vielen Kreisen immer noch üblichen, despektierlichen Schenkelklopf-Witze über Autofahrerinnen – Frauen und Einparken! – darauf schließen. „Schickes Fahrgestell“ bedeutete für eine Frau etwas anderes als für einen Mann: nämlich ein (ungewollter) Kommentar über ihre wohlgeformten Beine.
Dabei war es eine Frau, Bertha Benz, die 1888 als Erste die 100 Kilometer lange Überlandfahrt mit einem Automobil von Mannheim nach Pforzheim unternahm. Man hätte also schon längst drauf kommen können, dass Autos und Frauen in der Tat hervorragend zusammenpassen. Dass jene, von der Statistik längst widerlegten Vorurteile über schlechtere Fahrerinnen, einzig der Phantasie einer chauvinistischen Haltung entstammen, die Frauen „von Natur aus“ ein geringeres Interesse an Geschwindigkeit und Technik attestieren. In Deutschland erschien 1981 übrigens ein Handbuch mit dem Titel „Danke ich schaff’s alleine“, auf dem Cover die Zeichnung einer Frau im Overall, die eigenhändig ihre Ente repariert.
Eine hingegen ist dieser muffigen 50er-Jahre-Schublade stets elegant davon gebraust: Heidi Hetzer, frühere Charlottenburger Autohaus-Chefin, gelernte Kfz-Mechanikerin, Weltenbummlerin. Vergangene Woche ist sie mit 81 Jahren in ihrer Berliner Wohnung gestorben ist – nachdem sie erst kurz zuvor mit ihrem rosa Landcruiser von einer längeren Afrika-Tour zurückgekehrt war. Ihre Familie teilte am Wochenende mit, vermutlich seien „Altersschwäche (Herzinfarkt, Schlaganfall o.ä.)“ die Todesursache. Die Beisetzung werde im engsten Bekanntenkreis stattfinden, schreiben Sohn und Tochter weiter neben der Todesanzeige auf der offiziellen Webseite ihrer Mutter. Man verspreche aber, „mittelfristig allen eine Gelegenheit zur gemeinsamen Würdigung zu bieten“.
Hetzer ging nicht durchs Leben, sie fuhr: Sie war eine „benzinverrückte Berliner Göre“ (Hetzer über Hetzer), die mit 13 ihre erste illegale Spritztour machte und kurz darauf aus Leidenschaft eine Lehre zur Automechanikerin absolvierte. Hetzer fuhr schon damals wie besessen Rennen, als Ralleyfahrerin gewann sie mehr als 150 Preise. Aus der Karriere als Rennfahrerin wurde dann aber nichts: Jung übernahm sie den Autohandel ihres verstorbenen Vaters, bis 2012 stand sie an der Spitze des Autohauses.
Hetzer war eine, die als 80-Jährige noch knallrote Leder-Zweiteiler zur todschicken Cabrio-Kappe trug, und in ihrem freigeistigen Lebensstil Klischees einfach nicht gelten ließ: Heidi Hetzer, Jahrgang 1937, könnte Claire Waldoffs Friedrich Holländer-Interpretation „Oh wie praktisch ist die Berlinerin“ von 1927 entsprungen sein: „Es stöhnt das aufgeklärte Mädchen / sie muss sich irgendwie betät’gen / sie hat so furchtbar viel Talente / mit denen sie möchte / mit denen sie könnte…“
Hetzer war eine dieser praktischen Berlinerinnen, die ihren Landcruiser pink lackieren ließ, weil sie glaubte, dass er damit im Ausland vor Diebstahl gefeit sein würde, die sich von niemandem einschüchtern ließ, die trotz Krankheiten, Überfällen, Unfällen noch 2014 mit einem ihrer 13 Oldtimer in 959 Tagen um die Welt fuhr, und dort sämtliche Mitreisende, Wegelagerer, Schaulustige in Grund und Boden berlinerte.
Mit Heidi Hetzer, der berühmtesten Autoverrückten Deutschlands, starb aber nicht nur eines der städtischen „Orijinale“, die ohnehin seit Jahren an Bedeutung verlieren: weil das Gros der Tourist*innen einen feuchten Kehricht auf „typisch Berlin“ gibt, sondern vor allem „billig Berlin“ liebt und nutzt (und eh grundsätzlich die unhippen Bezirke verschmähen würde, in denen Hetzer unterwegs war). Hetzer stand für eine Stadt, die auch in ihrer Geschichte die Tradition vom Hinfallen und wieder Aufstehen vorlebte.
Mit Heidi starb zudem eine Frau, die ohne viel Aufhebens Rollenbilder ignorierte, die selbstverständlich „in Style“ raste und reparierte, Kinder aufzog und Geschäfte machte, ein Beweis gelebter Selbstermächtigung und gelebter Emanzipation. Und es verschwand mit ihr eine verstaubte, aber bezaubernde Unbekümmertheit im Umgang mit dem Automobil, die ebenso anachronistisch war wie Hetzer selbst: Die eigene Freiheit als Frau (oder Mann) ausgerechnet mit teuren Benzinschleudern zu untermauern, denen man einen Bleizusatz in den Tank kippen muss – das ist kaum noch denkbar.
Heidi war eine der letzten, vielleicht auch die letzte Ikone, die Stil, Urbanität und Menschlichkeit mit dem Umweltsünder Benziner verbinden konnte und durfte. Sie wird einen Ausgang des aktuellen Streits um die City-Maut, die AutofahrerInnen zu Recht zur Kasse bitten soll, nicht mehr erleben. Genauso wenig wie den fernen Tag, an dem Privatautos, die außer Luxus keine Funktion haben, aus der Stadt verbannt werden, und alle Menschen, Mann wie Frau wie Kind, umweltfreundlich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.
Wer weiß, vielleicht hätte Heidi Hetzer auch noch irgendwann reuig ihre mannigfachen Oldtimer verkauft, die Garagenstellplätze Stadtimker*innen geschenkt und ein E-Auto angemeldet. Wahrscheinlich ist das nicht.
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