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Nachruf auf Franz-Josef DegenhardtDer Standhafte

Er war nicht die Stimme einer Generation - er war ihr Gewissen: Franz-Josef Degenhardt, einflussreicher linker Liedermacher und Romanautor, ist tot.

Der Liedermacher Franz-Josef Degenhardt (Mitte) 1970 im Gespräch mit Hannes Wader (l.). Bild: dpa

Schon seit geraumer Zeit stand auf der Website von Franz Josef Degenhardt: "Degenhardt lebt in Quickborn bei Hamburg. Sein künstlerisches Gesamtwerk ist abgeschlossen." Das ist so lapidar wie klar und frei von aller Larmoyanz. Nun ist auch sein Leben abgeschlossen, im Alter von 79 Jahren starb er am Montag nach langer Krankheit.

Degenhardt war eine Ausnahmefigur im deutschen Kulturbetrieb. Einerseits war er ein großer Verweigerer, andererseits war er sehr erfolgreich. Selten hat sich ein deutschsprachiger Liedermacher, der sein Publikum so konsequent auf sich selbst zurückwarf, sich so großer Zuneigung gewiss sein können. Und kein anderer Liedermacher hat so erfolgreich in die deutschsprachige Popmusik hineingewirkt wie Degenhardt, sowohl Jan Delay als auch die Goldenen Zitronen beziehen sich auf ihn.

Das alles war dem in 1931 in Schwelm geborenen Künstler nicht in die Wiege gelegt worden, obschon er, nach eigener Aussage, aus einer "militant-katholischen" und antifaschistischen Familie stammte. Er studierte nach dem Abitur Rechtswissenschaften, promovierte und verteidigte in den sechziger Jahren unter anderem APO-Angehörige und RAF-Mitglieder.

Doch weniger wirkte er in der Robe als mit der Gitarre. 1965 erschien das berühmte Album "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", dessen Titelstück noch heute an jedem Lagerfeuer zum Besten gegeben wird. Schon 1966 war er zum "Väterchen Franz" geworden, gerade einmal 35 Jahre alt. Er blieb das für viele, obschon er sich in den rund 30 Alben, die er bis 2008 veröffentlichte, stets wandelte.

"Digitale Boheme"

Auf dem Album "Weiter im Text", das 1996 erschien, findet sich der Song "Warum denn auch nicht", der mit einem schnellen Technobeat unterlegt ist. Auf seinem letzten Album, "Dreizehnbogen", heißt der Auftaktsong "Digitale Boheme".

Besang Degenhardt einerseits die Idylle unterm Pflaumenbaum, so war andererseits stets die Politik sein Feld. Er trat 1961 in die SPD ein und gehörte ihrem linken Flügel an, wurde aber zehn Jahre später ausgeschlossen, nachdem er zur Wahl der DKP aufgerufen hatte. 1978 trat er der DKP bei, der er bis zuletzt treu blieb.

Auch veröffentlichte er, zum Teil mit großem Erfolg, Romane, im Verlag Kulturmaschinen sind aus Anlass seines achtzigsten Geburtstages, den Degenhardt am 3. Dezember gefeiert hätte, soeben die ersten Bände einer Werkausgabe erschienen. Degenhardt war von sich aus auf den kleinen linken Verlag zugegangen, er wollte sein künstlerisches Werk nicht nur abgeschlossen, sondern auch in guten Händen sehen. Sein Roman "Zündschnüre", in dem er das Aufwachsen während des Zweiten Weltkrieges beschrieben hatte, wurde sogar verfilmt, ebenso auch "Brandstellen".

Degenhardt hatte ein diffuses Frauenbild, die Frau war "Gefährtin", "Köchin", aber auch "Kämpferin", stand bei ihm jedoch stets in Bezug zum Mann. Seine "Zigeuner" werden romantisch verklärt bis zur Verkitschung, allerdings wies Degenhardt auch immer wieder darauf hin, dass Sinti und Roma deportiert wurden. Seine einfachen Leute sind oft geborene Antifaschisten, rein und zweifelsfrei.

Seine Naturidyllen sind sehr romanisch, der Wein fließt in Strömen, die Menschen sprechen Plattdeutsch, all dies tun sie, um sich nicht mit den Spießern gemein zu machen. Degenhardt erfand sich sein Ideal-Proletariat, seine widerständigen Arbeiter und Bauern, noch auf dem letzten Album sehnt er sich diese Welt herbei.

Scharfer Kritiker

Dennoch geht mit Degenhardt ein Künstler verloren, den es so kein zweites Mal gab. Seine Kritik war, so sehr seine politische Auffassung von dichotomischen Denken geprägt war, stets scharf, gerade diejenigen, die ihren Frieden mit den Verhältnissen gemacht haben, am Stammtisch aber noch die größten Revoluzzer sind, nahm er immer wieder aufs Korn. So traute er der rot-grünen Bundesregierung nicht einen Augenblick.

Und er weigerte sich, sich in die Reihe der wohlgelittenen Barden, die Wecker, Wader, Hein und Oss darstellen, einzureihen. Die spielen für alle Parteien und politischen Bewegungen, wenn sie sich nur irgendwie links geben. Degenhardt verlangte auch vom eigenen Milieu extreme politische Standhaftigkeit. Er blieb Kommunist, auch wenn es ihm mit seiner Partei schwerfiel.

Als er 2004 auf ein Revival-Konzert zum 40. Jahrestag des ersten, heute legendären Folkfestivals Burg Waldeck eingeladen wurde, lehnte er dankend ab. In seiner Absage schrieb er: "Seit längerem schon - ich lese ja die Waldeck-Zeitung Köpfchen, höre dies und das von alten Freunden und Genossen - wird eine Wende, besser eine Rolle Rückwärts vorgeführt da oben im Hunsrück. [...] Zuletzt bin ich in dieser meiner Einschätzung bestärkt worden während einer von ,Arte' ausgestrahlten Sendung mit dem Titel ,Get up. Stand Up.

Waldeck-Festival

Die Geschichte von Pop und Politik', die überwiegend recht gut und informierend war, bis auf den Abschnitt, der sich auf die Waldeck-Festivals in den Sechzigern bezog. Es wurde überhaupt nicht eingegangen auf das wirklich Neue damals, das die Liedermacherei, Song-Interpretation, Rezeption in der Folge formal und inhaltlich gründlich mitbestimmt hat. Dies durch: die Konkretisierung, Hereinnahme des aktuell Gesellschaftlichen, den gerichteten militanten Antifaschismus, die Kritik am idyllisch gemachten und dargebotenen Liedgut, am Romantizismus, der Skepsis gegenüber den traditionellen Liedformen überhaupt.

Nicht dieses sollte und soll nach der vom neu-alten Waldeck-Geist monopolisierten Interpretation im Gedächtnis bleiben. Vielmehr sollen die Festivals nun gewertet werden vor allem als Anstoß zur Bewahrung der ,guten, alten Lieder', die nach Vorstellung eines dieser uns bekannten Waldecker ,nicht verstören sondern gefallen' sollen.

Diese uns nur zu bekannte Mischung aus provinziellem Mief und deutsch-nationaler Gefühligkeit ist natürlich das Spiegelbild einer gesamtgesellschaftlichen Haltung und Vorstellung heute hierzulande, und nicht nur hierzulande. Und insofern sind die Waldeck-Knaben wieder mal ,dabei und vorneweg' - ihr ewiger Wunsch. Diese Anschlussfähigkeit à tout prix ist besonders widerwärtig."

Degenhardt war in solchen starken Momenten nicht die Stimme einer Generation - er war ihr Gewissen.

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10 Kommentare

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  • S
    Schmuddelkind

    Auch wenn man die politische Meinung von FJD nicht teilt:

    Diese Welt braucht genau diese Querdenker, nur sie können wirklich was bewegen.

     

    Er wird dieser Gesellschaft fehlen, denn es mangelt an Nachschub.

  • GS
    Günter Schullenberg

    Ich habe die 68iger Zeit verschlafen und bin aber üb.4o Jahre Wader-Fan geblieben; F.J.D. hatte ich öfter auf der Bühne mit seinem Sohn erleben können.

    Ja die Ideen, so sagte schon Kurt Tucholsky kommen von unten, links. Aber in der Realität muss man wie sonst auch überall Kompromisse machen.Deshalb kann man die anderen Künstler nicht verteufeln.

  • B
    Bolamus

    In Zeiten, in denen einem Bushido ein Integrationsbambi verliehen wird und nur ausgerechnet der gute, alte Heino (und Rosenstolz)dagegen protestieren, verwundert es nicht, daß Wader (Ex-DKP !), Hein und Oss (auch Proletariats-Romantiker) und andere herhalten müssen, die Einzigartigkeit von FJD herauszustellen.

    Ich weiß nicht, welcher Generation Herr Sundermeier angehört, aber Kenntnisse linker Kulturgeschichte spreche ich ihm rundheraus ab.

    Der von FJD ursprünglich mal als "Roter Sangesbruder drüben" bezeichnete Herr B., der in diesen Tagen geburtstagsmäßig gefeiert wird, hat ja mal getextet "So oder so, die Erde wird rot...", was geflissentlich aus den TV-Lobhudeleien rausgeschnitten wird. Und da fällt einem doch gleich Degenhards ultimatives Wendehals-Lied "Horsti Schmandhoff" ein.

    Es ist eine Schande, was der deutschen Presse zu FJD einfällt. Doppelte Schande für die TAZ !

    Und, ja, ich trauere um FJD, und nein, ich fand die DKP schon in meiner Jugend indiskutabel.

  • CS
    Carsten Schulz

    Franz Josef Degenhardt war genau das Gegenteil eines Wendehalses oder Opportunisten.

     

    So ist mir (im Gegensatz zu Jost Manderbach) völlig verständlich, dass er nicht ins undifferenzierte "Anklagen" eines Hubertus Knabe oder ähnlicher Prediger gegen die DDR einstimmte.

     

    Franz Josef Degenhardt nahm in seinen Liedern Wendehälse mit K-Gruppenvergangenheit aufs Korn, die heute mit verlogener Menschenrechtspropaganda NATO-Bomber in alle Welt schicken wollen, z.T. noch entschiedener,- wie das Beispiel Libyen zeigt-, als schwarz-gelbe Politiker.

    "Einfach unglaublich.... sang er kurz nach dem NATO-Überfall auf Jugoslawien.

    Deswegen wurde er im Hörfunk und Fernsehen boykottiert. Und deswegen verdient er Hochachtung und Bewunderung.

     

    Carsten Schulz

  • T
    Toby

    Degenhardt veröffentlichte vermutlich vor allem deshalb beim Verlag Kulturmaschinen, weil der langjährige Lebensgefährte der Verlagsleiterin, Leander Sukov, sein Parteigenosse war und ist. Nicht eben eine edle Motivation, deren einziger Beweggrund die Sorge gewesen wäre, das Werk "in guten Händen" zu wissen. Da hätte es literarischere Verlage gegeben, die das besser besorgt hätten.

     

    Wer indes Hannes Wader als "wohlgelittenen Barden" bezeichnet, sollte sich mal mit der Biographie dieses Wohlgelittenen auseinandersetzen. Danke sehr. Dessen Biographie ist nämlich alles andere, als stromlinienförmig. (Mal abgesehen davon, das Alphons Silbermann was zur Verwendung des Begriffs "Barde" zu sagen gehabt hätte, was er dereinsten auch schon Heino sagen durfte.)

     

    Ich halte Degenhardt für einen ganz Großen! aber ich hätte ihm was anderes als die Kulturmaschinen und was anderes als diesen Nachruf gewünscht.

    Ich hoffe, den auf Wader wird eines möglichst fernen Tages jemand anderes schreiben.

  • MS
    Michael Skuppin

    Ja, das Väterchen Franz, nun hat ihn einer geholt, und das auch ganz.

    Kommen wir also noch einmal an den Tisch unter winterkahlen Pflaumenbäumen und erinnern uns: Genossinnen und Genossen, wir haben uns genossen, und auch den Wein im schwarzen Krug – und die Signale, die hören wir doch schon so lange nicht mehr klar genug. Tonio Schiavos Sohn hat denn doch die Pizzeria aufgemacht, sein Enkel überlegt inzwischen, wo er das Familienerbe krisensicher außerhalb Italiens anlegt, und der Dicke mit der Warze grinst sein rotes Lachen inzwischen auf die gelbe Investmenteuphorie. Monopoly spielen inzwischen Chinas Kommunisten, die Schmuddelkinder twittern und sind in Facebook, besuchen die Werkrealschule und träumen von der Karriere als Senator – es sei denn, sie haben sich die Haare geschoren und schreiben an der großen Schimpflitanei weiter, selbst Kriegsdienstverweigerer gibt es keine mehr zu befragen - nur Horsti Schmandhoff tobt wohl immer noch unbeirrt durch Ukalula. So sind halt die Zeiten – und nun ist ER gestorben: UNSER PROTESTGEWISSEN. Armer Franz-Josef: Requiescas in pace…

    Wenden wir uns wieder B.B. und seiner Mutter Courage zu:

    Das Frühjahr kommt, wach auf Chronist - der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn

    Und was noch nicht gestorben ist, das schreibe NEUE Texte nun…

  • K
    klapautermann

    Auch ohne Kommunist zu sein, auch wenn man fast 60 Jahre jünger ist, ja auch dann, kann FJD jemand sein, der einem immer wieder Inspiration und Mut macht zum politischen und zum Leben allgemein.

    Unter all den Liedermachern für mich auch der größte Poet, wenn er zum Tango du midi läd stellt er alle in den Schatten mit schlichter eindrüclicher Sprachgewalt

    Ich werde ihn vermissen und traure darum nun vielleicht noch 60 Jahre ohne neue, sich am Zeitgeist abkömpfende Lieder auskommen zu müssen.

  • JM
    Jost Manderbach

    Ich hätte mir von dem immer noch DKP Mitglied schon mal einen gradlienigen Komentar zu Hohenschönhausen und den Eliteproleten in Wandlitz erwartet. Das da so gar nichts kam, schade. Trotzdem singen wir heute nochmal: "Also kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen, der Hammel ist gar überm Lauch,

    Paprika soll uns im Halse brennen, der reife Kartoffelschnaps auch...

  • F
    Feuerstein

    Franz Josef Degenhardt ist tot, ein großes Stück meiner Jugend ist gestorben! Auch wenn ich als Atheist nicht an einen Himmel glaube, aber vielleicht geht er dort wo er jetzt ist mit Che, Salvador Allende und all den anderen noch ein Bier trinken. VENCEREMOS Väterchen Franz, wir werden dich nie vergessen!

  • U
    UdoWF

    Franz-Josef Degenhardt war irgendwie ein moderner Bellmann.