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Nachruf auf Eva von Eva und AdeleDas Glück am Rockzipfel berühren

Die lebenslange Performance von Eva, Gesamtkunstwerk aus der Zukunft und Hälfte des Künstlerinnenpaars Eva & Adele, ist zu Ende. Ein Nachruf.

Rosa Kleid und breites Lächeln: Künstlerpaar Eva (r.) und Adele in Berlin, Februar 2025 Foto: Angelika Platen/bpk

Als Kind verbrachte ich viel Zeit auf Aus­stellungseröffnungen, hauptsächlich in Berlin, meistens in Kreuzberg. Ich fand absolut nichts langweiliger als zeitgenössische Kunst, vor ­allem da ich meistens das einzige Kind war und früh gelernt hatte, dass man Kunstwerke nicht anfassen darf, dass sie sich also nicht zum Spielen eignen.

Das Einzige, was mich auf diesen Eröffnungen interessierte, waren EVA und ADELE. Das Künstler:innenpaar, das sich als Gesamtkunstwerk verstand und, in einer Art nie endender allumfassender Lebensperformance, in ambitionierten, identischen Outfits auf allen Openings auftauchte. Im Gegenteil zu allen anderen Erwachsenen repräsentierten EVA und ADELE alles, was mir gefiel: Sie waren glänzend und rosa.

Auch für Dop­pel­gän­ge­r:in­nen hatte ich, wie für eineiige Zwillinge, einen sweet spot, Eva und Adele kamen mir vor wie ein Wunder der Natur. Dass sie beide Glatzen hatten, irritierte mich aus irgendeinem Grund kein bisschen – genauso wenig, wie ich mich fragte, welchem Gender sie angehörten.

Die Rockzipfel berühren brachte Glück

Für mich als Vier- oder Fünfjährige gehörten EVA und ADELE zu ihrer eigenen Spezies, deren Anmutung sich weder einordnen noch kritisch betrachten ließ. Sie erstaunten mich nicht, im Gegenteil: Sie waren immer da, als Konstanten im Raum, wiedererkennbar. Auf EVA und ADELE war Verlass. Um mich zu beschäftigen, behauptete meine Mutter, EVA und ADELEs Rockzipfel zu berühren brächte Glück, ebenso wie man die weißen Kleider von Bräuten oder die langen Gewänder von Nonnen berühren sollte.

EVA und ADELE wurden auf diese Weise also zu Kunstwerken, die man nicht nur anfassen durfte, sondern die man sogar anfassen sollte. Ich verbrachte ganze Abende damit, den beiden buchstäblich hinterherzurennen, um sie, mehr oder weniger auffällig, am Rockzipfel zu berühren. Sie behandelten mich freundlich und angenehm unaufdringlich, niemals wie ein Kind, das sich in ihrer Wertigkeit von ihnen unterschied. Es gab nichts Betuliches oder Sentimentales in ihrer Umgangsweise mit mir.

Wie es sich anfühlt, ein echter „Fan“ zu sein, lernte ich also von EVA und ADELE. Und eigentlich war ich seitdem selten ein Fan von einer anderen Person des öffentlichen Lebens. Es half auch, dass die beiden als Paar auftraten, also zu zweit – das fühlte sich weniger übergriffig oder aufdringlich an, als nur von einer einzigen Person ein Fan zu sein. Es gibt zahlreiche analoge Fotos von mir als Kind, wie ich stolz mit Eva und Adele posiere.

Meinen besten Freund im Kindergarten überredete ich, gemeinsam mit mir dasselbe, hellblaue Spitzenkleid aus Plastik zu tragen. Als der Kindergärtner uns auf das eher unangenehme Kleidungsstück ansprach, sagte ich selbstbewusst: „Wer schön sein will, muss leiden“. Der Kindergärtner lachte Tränen, ich verstand nicht, warum.

Die Namen umzudrehen gleicht Gotteslästerung

Wenn ich Schluckauf hatte, sagte meine Mutter, ich solle an „fünf Glatzköpfe denken“, dann ginge der Schluckauf weg. Immer dachte ich als Erstes an Adele und Eva. Es kommt mir fast gotteslästerlich vor, die Reihenfolge der Namen umzudrehen.

Dass ich maßgeblich von dem Künst­le­r:in­nen­duo geprägt war – und dass sie es längst in den historischen Kanon geschafft haben –, zeigte sich spätestens, als ich einmal in der Gemäldegalerie auf eine Renaissance­malerei von Adam und Eva zeigte und laut ausrief: „Schau mal, Eva und Adele!“. Meine Mutter war leicht geschockt, in erster Linie aber stolz, dass die zeitgenössische Bildung über die historische gesiegt hatte. Heutzutage ist das Duo natürlich längst historisch anerkannt.

Wenn man EVA und ADELE im Internet recherchiert, findet man in ihrem Wikipedia-Eintrag keine privaten Namen, sie sind dort ausschließlich mit ihren Künst­le­r:in­nen­na­men verzeichnet. Stattdessen findet man als Biografie ihre Körpermaße, Größe, Taille, Hüfte. Vielleicht gibt es nichts, was hinter der Fassade zu finden ist, vielleicht ist jene Fassade, jene Kostümierung selbst tief genug. Und vielleicht zeigen sie damit uns Menschen, die wir uns im Alltag nicht für „kostümiert“ halten, dass wir in Wahrheit immer ein wenig in drag sind, auch unbewusst.

Vielleicht zeigten EVA und ADELE uns, die wir uns im Alltag nicht für kostümiert halten, dass wir in Wahrheit immer ein wenig in drag sind, auch unbewusst.

Ich wusste nie, welche von beiden Eva und welche Adele ist. Es schien mir nicht wichtig. Die Vorstellung, dass Adele nun ohne Eva unterwegs ist, kommt mir fast unmöglich vor. Eigentlich hatte ich beide, als Paar, ohnehin für unsterblich gehalten. Auf den Fotos, die man von ihnen kennt, sieht man, dass sie keinen Tag gealtert scheinen – solch weltliche Probleme waren ihnen fremd.

Immerwährende Grandezza

Erst letztes Jahr, auf der Art Basel, gestand ich den beiden, wie sehr ich sie, zeit meines Lebens, verehrt hatte. Es war eine freundliche und angenehm dis­tanzierte Begegnung, sie behandelten mich, das Fangirl, mit ebensolcher professioneller Grandezza, wie sie es schon fünfundzwanzig Jahre früher getan hatten.

Sie gaben mir zutraulich ihre Adresse und ich schickte ihnen mein Buch, in dem sie, als Prot­ago­nis­t:in­nen, immer wieder auftauchten – als Künstler:innen, die sich selbst ihre eigene unabhängige Institution sind, die einem Prinzip von „Ten Points for Passion“ folgten, volle Punktzahl für die Leidenschaft, für radikale Direktheit. Ein paar Wochen später bekam ich eine Postkarte als Antwort – an ihr war nichts Artifizielles, sie war nicht pink, sondern einfach eine Postkarte von der Ostsee, auf der stand, dass sie mein Buch, im Strandkorb liegend, gelesen hatten. Selten fühlte ich solchen Stolz.

Farewell, Eva. Ich bin mir sicher, dass ich nur deshalb so viel Glück im Leben habe, weil ich als Kind so häufig deinen Rock­zipfel berührt habe.

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