Nachruf auf Ali Mazrui: Theoretiker des verlorenen Paradieses
Der Kenianer Ali Mazrui, führender Verfechter der geistigen Entkolonisierung Afrikas, ist tot. Sein Gedankengut lebt weiter.
Es sind nicht mehr viele übrig von jener Generation afrikanischer Intellektueller, die die Entkolonisierung vor fünfzig Jahren erlebten und dann das Scheitern der neuen unabhängigen Diktaturen: gefangen in nationalistischem Auftrumpfen gegenüber dem eigenen Volk und politisch-ökonomischer Abhängigkeit von der alten Kolonialmacht.
Der Kenianer Ali Mazrui, aufgewachsen in Mombasa, erlebte die Konsequenzen davon unmittelbar. Als junger Professor in Uganda und Leiter der Politologiefakultät an der damals noch afrikaweit berühmten Makerere-Universität von Kampala wurde er 1973 im Alter von 40 Jahren von Diktator Idi Amin ins Exil gezwungen und verbrachte die letzten 41 Jahre seines Leben in den USA.
Mazrui wurde ein führender Vertreter des panafrikanischen Antiimperialismus, der die Befreiung von ökonomischer Abhängigkeit als logischen nächsten Schritt nach der Befreiung von politischer Fremdherrschaft analysierte.
Afrika, schrieb Mazrui in seinem Standardwerk „The African Condition“, sei „ein Paradies im Zerfall“: die Wiege der Menschheit, aber zugleich der letzte Kontinent, auf dem die Menschenwürde Einzug halte. Afrika sei nicht arm, aber unterentwickelt; nicht klein, aber fragmentiert; nicht marginal, aber an den Rand gedrängt.
Anders als viele Vertreter dieser Linie war er aber kein Marxist; Afrika müsse aus seinen eigenen Erfahrungen heraus seine eigenen Ideologien entwickeln, hielt er den Proponenten eines afrikanischen Sozialismus entgegen. Afrika müsse wieder selbst denken, für sich selbst sorgen, seine Bedürfnisse selbst befriedigen. „Dieser Kontinent hat seine Seele verkauft“, sagte er oft.
Emanzipatorischer Impuls
Es ist ein Denken, das heute in Zeiten eines rasanten, aber durchaus widersprüchlichen neuen Aufschwungs in Afrika aktueller scheint denn je. Die jungen globalisierten Generationen, die das „neue Afrika“ tragen, verdanken Mazrui und seiner Generation viel – und es gehört dazu, dass sie das gar nicht wissen wollen. Mazruis Bücher sind in Afrika kaum noch bekannt. Aber sein emanzipatorischer Impuls ist Mainstream geworden.
Am Montag ist Mazrui im Alter von 81 Jahren in New York gestorben. Er habe, trauerte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, dazu beigetragen, die Geschichte Afrikas anders zu erzählen. Diese Erzählung werde ihn überleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers