Nachruf Nadine Gordimer: Chronistin der Widersprüche
Ihr Leben war eine Insel des Mutes in einem Meer von Gewalt: Nadine Gordimer, die berühmteste Schriftstellerin Südafrikas, ist tot.
Körperlich wirkte sie zart und zerbrechlich wie ein Vogel, aber in ihren Worten war sie klar und unbeugsam wie es nur Menschen sein können, die für ihre Überzeugungen ihr Leben aufs Spiel setzen. Südafrikas größte Schriftstellerin Nadine Gordimer war mehr als nur eine Ikone des weißen Widerstandes gegen die weiße Apartheid, diese einzigartige Institutionalisierung von Unmenschlichkeit.
Sie trug diesen Widerstand auch als Gedankenkosmos in die Welt und ermöglichte es ihren Lesern, sich direkt in die unversöhnlichen Haltungen und Perspektiven, die Hoffnungen und Ängste hineinzuversetzen, innerhalb derer sich die gesellschaftliche Dynamik in Südafrika abspielte. Wer Gordimer heute liest, vollzieht eine Reise in eine andere Welt und fühlt sich dennoch zu Hause, egal wo und wann ihre Romane spielen.
Das mag an Nadine Gordimers Welterfahrung liegen: Tochter eines aus dem zaristischen Russland geflohenen Juden, der in Südafrika eine junge Frau aus einer jüdischen Einwandererfamilie aus London heiratete; katholisch und dann säkular erzogen, früh von der Schule genommen und keinen Hochschulabschluss.
1948, also im Alter von 24 Jahren, zog sie nach Johannesburg, wo es damals noch multiethnische Enklaven und eine blühende schwarze Stadtkultur gab, die aber samt ihrer weißen Freunde dem sicheren Untergang geweiht war wegen der zunehmenden Aggressivität der rassistischen Burenherrschaft.
„Die ewig geduldigen Geier“
„Über ganz Südafrika schweben die ewig geduldigen Geier, jedes Jahr, jeden Monat ein wenig näher“, heißt es in ihrem ersten Roman The Lying Days aus dem Jahr 1953, das die New York Times als bestes Erstlingswerk pries, „durchdrungen mit der Schuld des weißen Mannes, der Angst und Wut des Schwarzen... in diesem furchterregenden, Furcht leidenden Land“.
Über sechzig Jahre ist das her, und Gordimers bekannteste Werke - July‘s People, A Guest of Honour und vor allem Burger‘s Daughter, um nur einige zu nennen - kamen erst später. Ebenso ihr Beitritt zur schwarzen Befreiungsbewegung ANC (Afrikanischer Nationalkongress), ihre Freundschaft mit Nelson Mandela, ihre Streitereien mit den Apartheid-Zensoren, ihre Hilfe für den schwarzen Untergrund. Das war ihr Leben, eine Insel des Mutes in einem Meer von Gewalt.
Als Mandela ins Gefängnis kam, war Gordimer 38 Jahre alt; als er entlassen wurde, 66. Und ein Jahr später, im Jahr 1991, erhielt sie als erste Schriftstellerin Afrikas den Literaturnobelpreis und rückte damit endgültig in den Kosmos der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts auf.
Nicht Südafrikas Probleme hätten sie zum Schreiben gebracht, sondern durch Schreiben sei sie „durch die Oberfläche des südafrikanischen Lebensstils hindurchgefallen“, sagte Nadine Gordimer einmal.
Man hat immer eine Wahl - das ist die Botschaft ihres Lebens und ihrer Bücher. Es geht dabei nicht nur um die Apartheid, als deren schwerstes Erbe Gordimer einmal die verordnete geistige Beschränktheit für Weiße wie Scharze nannte. Manche ihrer besten Werke nehmen das postkoloniale Afrika und auch Südafrika nach der Apartheid schonungslos aufs Korn. Luxusdenken und Bequemlichkeit durchschaute Gordimer, diese Frau unbequemer Wahrheiten, gnadenlos.
Kritik am ANC
Die taz hat oft Texte von Gordimer veröffentlicht: in Verteidigung von Salman Rushdie und Taslima Nasreen, gegen die Auswüchse des „Krieges gegen den Terror“. In Südafrika selbst verblich ihr Ruhm: die junge schwarze Generation liest keine Bücher von alten Weißen, und Gordimers kosmopolitischer Blick auf die Welt entspricht nicht dem Lebenshorizont derer, die gezwungenermaßen im geistigen Gefängnis aufwuchsen.
Als große alte Dame des unabhängigen Geistes sparte Gordimer nicht mit Kritik am neuen Hang des ANC zu politischer Korrektheit und autoritärer Regierungsführung, aber es war nicht mehr ihr ANC, nicht mehr ihr Südafrika, und ihre Generation der Aufrechten ist klein geworden.
Wie am Montag bekannt wurde, ist Nadine Gordimer am Sonntag im Alter von 90 Jahren gestorben. Ihren Abschied nahm sie vor einem Vierteljahr vorweg. „Kann ein Schriftsteller je absichtlich in Ruhestand gehen?“ lautete die letzte Frage an sie in einem Interview. „Ich weiß nicht, aber ich bin jetzt da angekommen“, antwortete sie. „Es fühlt sich so an, dass der Weg zu neuen Entdeckungen kürzer ist... Ein guter Text braucht sehr viel Energie. Man kann nicht ewig weitermachen. Mir kommt es fast vor wie ein Abschluss.“
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