Nachruf Merle Haggard: Bariton, Blick nach unten
Wortkarg und äußerst anschaulich: Der am Mittwoch verstorbene Country-Sänger Merle Haggard war authentisch und stilprägend.
„Drei Akkorde und die Wahrheit“, so charakterisierte Johnny Cash das Wesen von Countrymusik. Einer, der Johnny Cashs regelmäßigen Konzerten im Zuchthaus von San Quentin beiwohnte, war Merle Haggard. Er saß dort eine dreijährige Jugendhaftstrafe wegen verschiedener Einbruchsdelikte ab. Ein Konzert von Cash in San Quentin brachte 1958 die Wende in Haggards Leben. Er brachte sich das Gitarrespielen bei und schulte seine Stimme.
Nach seiner Entlassung 1960 begann Haggard Auftritte in der kalifornischen Kleinstadt Bakersfield zu absolvieren – dort, wo er 1937 auch geboren wurde. Seine Familie war während der Großen Depression aus Oklahoma nach Kalifornien migriert. Sie lebten in einem Lieferwagen. Sein Vater starb, als Haggard neun Jahre alt war.
In seinen eigenen Songs kehrte Haggard zu den Begebenheiten seiner Kindheit zurück. Er phrasierte mit der Stimme und jodelte, wie er es von den Country-Urvätern Lefty Frizzell und Hank Williams gehört hatte. Haggards eigene Songs dauerten selten länger als zweieinhalb Minuten, aber er schaffte es, darin das unstete Leben wie kein Zweiter zu besingen: Wortkarg und äußerst anschaulich schilderte er die Härten.
„First thing I remember knowing/ Is a lonesome whistle blowin’„, hob er in seinem Song „Mama tried“ an, der den Abstiegs eines Wanderarbeiters beschreibt, der auf einen Güterzug aufspringt und bald im Gefängnis landet. Mit seiner sonoren Baritonstimme nahm Haggard seine Zuhörer sofort für sich ein und jubelte ihnen auch unangenehme Wahrheiten unter. Zu den Hits, die er ab den Sechzigern landete, zählt „Okie from Muskogee“, der der kitschigen Weltumarmung der Hippies eine Absage erteilt.
Empfohlener externer Inhalt
Merle Haggard - Okie From Muskogee
Eine Spezialität Haggards waren seine Geleitworte: kurze Ansprachen, um die Bedeutung der Songs eindringlicher klingen zu lassen. Das brachte ihm Anfang des Jahrtausends die Aufmerksamkeit einer jungen Generation und einen Plattenvertrag bei einem Punklabel ein. Am Mittwoch, dem Tag seines 79. Geburtstags, ist Merle Haggard, der mit dem Grammy Awards gekrönte US-Countrystar, einer Lungenkrebserkrankung erlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“