Nachruf Joe Cocker: Der Mann der geborgten Lieder
Jahrzehntelang soff er wie ein Loch. Dazu nahm Joe Cocker alle Drogen, die er in die Hand bekam. Nun ist eine der Größen des Bluesrock gestorben.
Wenn er sang, dann klang es, als wäre sein Rachen rundum mit grob gekörntem Schmirgelpapier ausgeschlagen. Und dann war da noch dieser markerschütternde Schrei, der unmöglich aus der Kehle kommen kann, sondern nur aus den dunklen Untiefen einer geschundenen Seele. Um dieser Klangwucht Ausdruck zu verleihen, musste dabei sein ganzer Körper sprechen. Am Montag ist Joe Cocker im Alter von 70 Jahren in seiner Wahlheimat, dem kleinen Ort Crawford in den Bergen Colorados, an den Folgen von Lungenkrebs gestorben.
Joe Cocker wird 1944 in der nordenglischen Stahlkocherstadt Sheffield geboren, schmeißt früh die Schule und wird Gasleitungsinstallateur. Doch bereits als Teenager will er mehr vom Leben. Die Kellerbühnen der Pubs werden zu seiner Heimat. Obwohl er nicht perfekt singen kann und schon gar nicht tanzen, geschweige denn ein Instrument beherrscht oder Noten lesen kann. Er nimmt die paar Pfund Gage genauso mit, wie er literweise warmes Bier in sich hineinlaufen lässt, dass ihm umsonst hingestellt wird.
„Schon damals schenkte ich amerikanischen Blues-Musikern, wie John Lee Hooker, Muddy Waters oder Howlin’ Wolf weitaus größeres Interesse, als der heimischen Beatmusik von den Rolling Stones oder den Beatles“, erinnert sich Joe Cocker in einem Interview. Und doch sollten es die Lieder der Beatles werden, die ihn in die große weite Welt des internationalen Konzertgeschäfts katapultierten. Der erste Versuch allerdings, die Interpretation von „I'll Cry Instead“ aus der Filmmusik des Beatles-Films „A Hard Day's Night“ aus dem Jahre 1964, interessiert nicht wirklich jemanden.
Und doch, wer Joe Cocker schon damals gehört hat, der hatte nie ein Chance, ihn und seine Stimme je wieder zu vergessen. So schafft es Joe Cocker ins Vorprogramm der Rolling Stones. Einen Plattenvertrag ergattert er auch. Im November 1968 hat er mit „With A Little Help From My Friends“ in England endlich den lang ersehnten Nummer-Eins-Hit. Im Frühjahr 1969, kurz vor seinem 25. Geburtstag, ruft Amerika. Joe Cocker hat dort erste Festivalauftritte. Er steht mit Jimi Hendrix und Janis Joplin beim Newport-Festival auf der Bühne, beim Denver Pop-Festival mit Led Zeppelin und Creedence Clearwater Revival.
Pennies für eine Flasche Gin
Am 17. August 1969 ist es dann soweit, Joe Cocker tritt beim Woodstock Music and Art Festival vor über 500.000 Menschen auf und im Rahmen eines explosiven Konzerts entfährt ihm der Schrei seines Lebens. „Let's Go Get Stoned“ heißt ein Lied, das im Original 1966 von The Coasters gesungen wird. Joe Cocker interpretiert es ebenfalls auf der Bühne in Woodstock.
Die Textzeile „I've got a few pennies, I'm gonna' buy myself a bottle of gin“ leuchtet fortan wie eine Flammenschrift über seinem Leben. Es ist nicht nur der Gin, der fortan seinen Kopf und Körper vernebelt und Joe Cocker tief stürzen lässt. „Drogen gab es überall und ich stürzte mich auf alles, was ich kriegen konnte“, erzählt er rückblickend, „ich brauchte Jahre um aus dieser Abwärtsspirale rauszukommen“.
Seine spätere Frau Pam Baker hilft ihm, sein Leben zu ändern. „Sie machte mir klar, dass die Leute mich immer noch singen hören wollten“, fährt er fort, „und sie schafft mit dem Kauf einer Ranch in Colorado ein Refugium, wo es Ruhe für uns gab. Und das Züchten von Tomaten tat ein Übriges.“ Als König der geborgten Lieder kehrt er, wie Phönix aus der Asche, zurück. „Up Where We Belong“, das mit einem Grammy und einem Oscar ausgezeichnete Duett mit Jennifer Warnes ist der Wendepunkt in seiner Karriere.
Generationsübergreifend beliebt
Seine weiteren großartigen Interpretationen reichen vom Lovin' Spoonful-Cover „Summer In The City“ über das Randy Newman-Lied „You Can Leave Your Hat On“,Paul McCartneys „She Came Through The Bathroom Window“ bis zu hin zu Bobby Sharps „Unchain My Heart“. Deutschland hat für Joe Cocker immer eine besondere Bedeutung. Schließlich ist in nahezu jedem Haushalt eins seiner Alben zu finden. So ist Cocker hierzulande generationsübergreifend stets der kleinste gemeinsame Musiknenner.
Sein für 2015 angekündigtes neues Album konnte der Sänger nicht mehr vollenden. Doch um in Erinnerungen zu schwelgen, gibt es mit „Fire It Up – Live“ einen vortrefflichen Livemitschnitt aus Köln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe