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Nachruf Autor Ulrich ZiegerDie Fantasiegestalt des Plausiblen

Etwas an ihm ähneltete einem Weltbürger, einem Clochard und einem Märchenerzähler. Der Autor Ulrich Zieger ist gestorben.

Ulrich Ziegler auf dem Poetenfest Erlangen 2011. Foto: manfred.sause/CC

Ulrich Zieger war einer, der Zeit mitbrachte. Allein dies machte ihn zu einer unzeitgemäßen Existenz. Seine literarische Poesie war voller Überraschungen. Die Nostalgie, die ihm nachgesagt wurde, wird ein Missverständnis gewesen sein. So wie ich ihn kannte, tappte er lediglich nicht gern in die Falle des Aktuellen.

Er war stark, auch in der Art, wie er mit Verletzungen umzugehen wusste und aus ihnen poetische Ausdruckskraft zu gewinnen vermochte. Es fällt schwer, über seinen plötzlichen Tod zu klagen, ohne über die Tyrannei der pragmatischen Realitäten zu klagen, die einen, der durch ihre Mauern will, mit so viel Wucht auf sich selbst zurückwerfen, dass große Mengen Alkohol benötigt werden, um den Schmerz fernzuhalten.

Geboren wurde Ulrich Zieger am 29. Dezember 1961 in Döbeln. Getrunken hat er bereits seit seinem 15. Lebensjahr. Mit 19 Jahren wollte er diese Welt schon einmal durch ein Hochhausfenster verlassen; er kletterte auf den Sims und schwankte eine Weile mit einem Buch in der Hand über der Tiefe.

In der Folgezeit entfalteten sich seine verschiedenen Talente: Er schrieb eine erste große Anzahl von Gedichten, die später, nach dem Ende der DDR unter dem Titel „1965“ in einer bibliophilen Ausgabe erschienen. Er schrieb Theaterstücke, malte Bilder und war bei „Zinnober“, einer kleinen Schauspieltruppe, deren Aufführungen legendär wurden.

Fremd im eigenen Land

Während der 90er Jahre pendelte er zwischen Montpellier und Berlin, verfasste das Drehbuch für den Film von Wim Wenders „In weiter Ferne so nah“, veröffentlichte ein Langgedicht, zwei Bände mit Erzählungen, einen Roman sowie weitere Bände mit Gedichten und Theaterstücken. Eines davon, „Die Mandelbrotmenge“, inszenierte er in eigener Regie im Berliner Schillertheater, das Premierenpublikum war begeistert, doch die Rezensionen verrissen das Stück mit gespenstischer Einhelligkeit. Es lag nicht an ihm, er konnte das Publikum fesseln.

Er verkörperte ohnehin jenen Typ, über dessen Fähigkeiten man früher gesagt hätte, dass sie von abendfüllender Qualität seien. Vielleicht legte er zu wenig Wert auf das, was man „die richtigen Verbindungen“ nennt. Mit Funktionsträgern konnte er nicht, dazu war er zu sehr er selbst, und das hieß auch fremd im eigenen Land.

Das erste, noch den DDR-Engen geschuldete Fernweh, heilte eine Liebe in Südfrankreich. Außerdem muss er dort ein gedeihlicheres Klima für seine Ideen von persönlicher Freiheit gefunden haben, mit denen er in Deutschland zumeist nur vor Türen mit genau geregelten Öffnungszeiten stand. Etwas an ihm ähnelte einem Weltbürger, etwas einem Clochard, etwas einem Märchenerzähler.

Die Wahrheit der Märchen

Er glaubte an die Wahrheit der Märchen, und das ist so ziemlich das Gegenteil eines Glaubens an die Märchen der Wahrheit. In diesem Sinn enthalten seine Bücher märchenartige Konterbande, sei es als offenes oder verstecktes Motiv oder auch nur in Form des Tonfalls, der das Lesen einstimmt auf die Frequenz des schmerzlich Wundersamen, burlesk Wahrhaftigen, oder wie auch immer man das Plausible in Fantasiegestalt nennen mag.

Seinem letzten Buch, dem dieses Jahr im Fischer-Verlag erschienenen Roman „Durchzug eines Regenbandes“, legte er dann auch noch einmal reale Märchen der Brüder Grimm zu Grunde. Die Schlüssel zum Glück seiner anarchischen Fabulierkraft und ausgefeilten Wortkunst sind alt, er war im Bund mit einer Gemeinschaft von Autoren magischer Texte, die über die Jahrhunderte verstreut ist. Am 23. Juli ist Ulrich Zieger gestorben, ihm blieb über Nacht das Herz stehen.

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