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Nachrichten von 1914 – 5. JuliKaiser Franz Josef über die Mordtat

Der Tod seines Neffen und Thronfolgers hat Kaiser Franz Josef schwer getroffen. Doch die Zuneigung der Bevölkerung lindert seinen Schmerz.

Kaiser Franz Josef I. in jungen Jahren. Bild: dpa

Kaiser Franz Josef hat an den Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh, den Ministerpräsidenten Grafen Tifza und den gemeinsamen Finanzminister v. Bilinski ein gleichlautendes, vom 4. Juli datiertes Handschreiben folgenden Inhalts gerichtet:

„Tieferschüttert stehe ich unter dem Eindruck der unseligen Tat, die meinen innig geliebten Neffen mitten aus einem ernster Pflichterfüllung geweihten Wirken an der Seite seiner hochherzigen, in der Stunde der Gefahr treu bei ihm ausharrenden Gemahlin dahingerafft und mich und mein Haus in schmerzlichste Trauer versetzt hat. Wenn mir in diesem herben Leben ein Trost werden kann, so sind es die ungezählten Beweise warmer Zuneigung und aufrichtigen Mitgefühls, die mir in den eben verflossenen Tagen aus allen Kreisen der Bevölkerung zugekommen sind.

Eine verbrecherische Hand hat mich des lieben Anverwandten und treuen Mitarbeiters, hat schutzbedürftige, dem zartesten Alter kaum entwachsene Kinder all dessen, was ihnen auf Erden teuer war, beraubt und namenloses Weh auf ihr unschuldsvolles Haupt gehäuft.

Der Wahnwitz einer kleinen Schar Irregeleiteter vermag jedoch nicht an den geheiligten Banden zu rütteln, die mich und meine Völker umschlingen, er reicht nicht heran an die Gefühle inniger Liebe, die mir und dem angestammten Herrscherhause aus allen Teilen der Monarchie aufs Neue in so rührender Weise kundgegeben wurden. Sechseinhalb Jahrzehnte habe ich mit meinen Völkern Leid und Freuden geteilt, auch in den schwersten Stunden stets eingedenk meiner erhabenen Pflichten der Verantwortung für die Geschicke von Millionen, über die ich dem Allmächtigen Rechenschafft schulde.

aera

aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

Die neue schmerzliche Prüfung, die Gottes unerforschlicher Ratschluss über mich und die Meinen verhängt hat, wird in mir den Vorsatz stärken, auf dem als recht anerkannten Wege bis zum letzten Atemzuge auszuharren zum Wohle meiner Völker, und wenn ich dereinst das Unterpfand ihrer Liebe als kostbares Vermächtnis meinem Nachfolger hinterlassen kann, so wird dies der schönste Lohn meiner väterlichen Führsorge sein. Ich beauftrage Sie, allen, die sich in diesen kummervollen Tagen in bewährter Treue und Ergebenheit um meinen Thron geschart haben, meinen tief empfunden Dank kundzutun.

Franz Josef m. p.“

In einem Armee- und Flottenbefehl sagt Kaiser Franz Josef:

„Seine K. K. Hoheit der General der Kavallerie und Admiral Erzherzog Franz Ferdinand, Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht ist einem verabscheuungswürdigen Attentat auf sein Leben erlegen, und in tiefstgefühlter Trauer beklage ich im Vereine mit meiner gesamten bewaffneten Macht den Verewigten, dessen letzte Tätigkeit noch der Erfüllung der ihm teuren militärischen Pflichten gegolten hat.

Seine letzten Befehlskundgebung richtete sich an die braven Truppen, die in Bosnien und in der Herzegowina treu und freudig nach vollster Tüchtigkeit streben. So hoch die Stelle war, die ich dem Dahingeschiedenen in meiner Wehrmacht zu Lande und zur See eingeräumt habe, so hoch war auch seine Auffassung der übernommenen Aufgaben.

Mitten aus schaffenfrohem Wirken wurde er uns entrissen. Wir beugen uns in Wehmut dem unerforschlichen Willen des Allmächtigen, der ein unermessliches Opfer von mir, meiner Wehrmacht und dem Vaterlande gefordert hat. Dennoch entsage ich nicht der Hoffnung auf eine gedeihliche Zukunft, überzeugt, dass in aller Bedrängnis, von der wir heimgesucht werden mögen, die Monarchie in der todesmutigen Hingebung der in ihrer Berufstreue unerschütterlichen Wehrmacht Österreich-Ungarns ihren sicheren Hort finden wird.“

Quelle: Berliner Tagblatt

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  • "Die Revolverschüsse des Meuchelmörders von Serajewo hallten auch durch unser Tal. Weniger laut zwar und gedämpfter als in der uns nächst benachbarten Großstadt; aber auf den Flügeln einer geschäftigen Frankfurter Presse flog ihr Echo doch noch zeitig genug in das Friedensnest unseres Gebirges. Auch unsere Leute horchten auf. Allerdings, zunächst verhielten sie sich der Tat gegenüber mehr gleichgültig. Die allgemein menschlichen Empfindungen traten bei ihnen lange in den Vordergrund. Ihr ausgesprochenes Familiengefühl ließ sie vor allem mit den Hinterbliebenen Kindern Mitleid haben. Die Mutter bedauerte man. Den Erzherzog kannte man nicht. Aber nun begann das Großstadttum, unter dessen Einfluß doch schließlich auch das entfernteste und abgelegenste Dörflein des Vogelsberges steht, seine Wirkung zu üben. Ich selber habe niemals vorher und niemals mehr als an diesem Punkte so stark und so unmittelbar die Macht empfunden, die unsere Großstädte durch ihre dienstbaren Geister, die „Generalanzeiger" — mögen sie nun im einzelnen heißen wie sie wollen — auch auf das einfältigste Land auszuüben vermögen. Ihre von vornherein vielfach sensationell angestrichene Erfassung der Lage teilte sich bald dem Landvolke mit. Das rein menschliche Interesse trat zurück. Das politische wurde erregt. Die Männer fingen allmählich an, ausführlicher miteinander über Tatsachen und Möglichkeiten zu reden. Und schon machte sich auch das schwere Wort „Krieg" auf. Erst schob es sich, nur widerwillig ertragen, in die Gedanken. Dann schlich es heimlich weiter in die Rede. Bald würgte es den Frauen in den Kehlen. Schließlich stellte es sich brutal unverhüllt vor die nüchternen und klaren Sinne der Männer. Und das Omen erwachte. In Stadt und Land, aber besonders auf dem Lande." Dies schrieb der evangelische Pfarrer Otto Herpel aus Lißberg in Oberhessen im Jahr 1916 in seiner Erzählung "Das Dorf aut dem Hügel."