„Kein Konzept für eine klimasresiliente und gesunde Stadt“

Bei einer Anhörung im Bauausschuss ging es um die Nachhaltigkeit von Nachverdichtung: Initiativen beklagen den zunehmenden Verlust von Stadtgrün

Von Claudius Prößer

Vor Kurzem hatte das „Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung“ (BBNS) Alarm geschlagen: Die bauliche Nachverdichtung der Stadt führe immer öfter dazu, dass wertvolles Grün wie baumbestandene Innenhöfe oder MieterInnengärten vernichtet würden. Das betreffe in erster Linie die locker bebauten Wohnviertel im Osten der Stadt, wo das geltende Baurecht es den landeseigenen Gesellschaften ermöglicht, Wohnungen ohne Bebauungsplan zu errichten.

Einen Brandbrief an Bausenator Andreas Geisel (SPD) hat das Bündnis schon verschickt, bei einer Anhörung im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses konnte es am Montag seine Forderung nach einem Baumoratorium präsentieren. Allein 2021 habe man zehn Fälle begleitet, bei denen AnwohnerInnen wertvolles Grün verloren hätten, sagte Sprecherin Freya Beheschti – nun gehe es weiter: „Schon eine Woche nach Beginn der Fällsaison am 1. Oktober wurden in Hellersdorf die ersten Bäume gefällt.“ Es sei „kein Konzept für eine klimaresiliente und gesunde Stadt“ erkennbar, und vom Ziel einer Netto-Null-Versiegelung sei man weit entfernt.

In der Theorie, so Arno Bunzel vom Deutschen Institut für Urbanistik, könne Nachverdichtung gut fürs Klima sein, denn An- oder Ausbauten im Bestand sparten Ressourcen beim Bau oder der verkehrlichen Erschließung. Die sogenannte Innenentwicklung könne sogar ein Hebel zur Verbesserung eines Wohnumfelds sein. Gleichzeitig warnte Bunzel vor der Gefahr einer Überforderung der sozialen oder grünen Infrastruktur. Eine mögliche Lösung: Auch ohne Bebauungsplan könne die Politik mit Instrumenten wie „städtebauliche Sanierungsmaßnahmen“ Einfluss nehmen.

Den harten Hund gab Baustaatssekretär Christian Gaebler (SPD): Angesichts der Bevölkerungsprognose, nach der Berlin 2040 an der 4-Millionen-Marke kratzt, könne „man nicht sagen: Wartet mal, wir müssen jetzt überall B-Pläne machen“. Die herrschende Wohnungsnot erlaube solche langwierigen Prozesse nicht, so Gaebler. Er verwies auf Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, die mangels Alternativen schon seit 2015 in Gemeinschaftsunterkünften leben müssten.

Sicherlich werde manchmal im Vorfeld zu wenig über Bauprojekte diskutiert, räumte Gaeb­ler ein – aber es gebe ja auch positive Beispiele. Als solches nannte er das Nachverdichtungsvorhaben der „Stadt und Land“ an der Treptower Orionstraße: Dort habe das Bezirksamt mit der Wohnungsbaugesellschaft nach Protesten der AnwohnerInnen eine Vereinbarung getroffen, wie die geplanten rund 100 Wohnungen umfeldverträglicher errichtet werden könnten. Für Katalin Gennburg (Linke) war dies ein willkommenes Stichwort. Sie verwies darauf, dass diese Geschichte ein enttäuschendes Ende hatte: Stadt und Land verkündete kurz nach dem Deal mit dem Bezirk, diesen doch nicht wahrzunehmen und an den alten Plänen festzuhalten – alles andere sei bei rasant steigenden Baukosten unwirtschaftlich.

An Daniel Sprenger vom Vorstand der Architektenkammer Berlin, einen weiteren geladenen Experten, richtete Gennburg die Frage, ob nicht die A100 zwischen Neukölln und Treptow ein gutes Fundament für geschätzt 10.000 neue Wohnungen hergäbe. Der wollte dies offenbar nicht als Alternative verstehen, sondern verwies auf Autobahnüberbauungen wie den Komplex an der Schlangenbader Straße. Solche Kombinationslösungen könnten auch eine Zukunft haben, aber keine entscheidende Rolle spielen, denn, so Sprenger: „Das ist und bleibt teuer.“

Sprenger äußerte dann noch einen Wunsch: Rot-Grün-Rot solle endlich die vom Vorgängersenat erarbeitete Charta Stadtgrün verabschieden. Die politische Selbstverpflichtung war im letzten Wahlkampf von der SPD torpediert worden und verstaubt seitdem im Abgeordnetenhaus.