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Nachgefragt„Sonst nur Quälerei“

■ Videoeinsatz im Mißbrauchsprozeß

Aussagen von Kindern in Mißbrauchsprozessen könnten künftig per Videoleinwand in den Gerichtssaal übertragen werden. Das sieht ein Gesetzentwurf der Bonner Regierungskoalition vor. Wir sprachen darüber mit Erika Segond, Richterin am Bremer Landgericht.

taz: Halten Sie Videoaufzeichnungen für sinnvoll?

Erika Segond, Richterin am Bremer Landgericht: Generell schon. Denn Verhandlungen mit Kindern sind eine ganz quälende Angelegenheit. Kinder können nicht unbelastet reden, wenn der Täter anwesend ist und andere fremde Personen. Wir Richter haben kaum die Gelegenheit, uns mit dem Kind im Vorfeld vertraut zu machen. Das läuft alles ganz formalisiert ab. Da hilft es auch nicht, wenn man die Robe auszieht und sich gemeinsam an einen Tisch setzt.

Diese Quälerei soll eine Videoübertragung verhindern. Ich habe nichts dagegen, Video auch in der Hauptverhandlung einzusetzen. Aber ich würde es falsch finden, wenn man sagt: Jetzt haben wir ja die Video-Möglichkeit in der Hauptverhandlung, da müssen wir uns in den früheren Stadien keine Mühe mehr geben. Denn die ersten Vernehmungen von Zeugen sind technisch auf einem uralten Stand. Es wird einfach aufgeschrieben, was gesagt wird, und das nicht wortwörtlich, sondern nur als allgemeine Inhaltsangabe. Das ist eine schwache Grundlage.

Sie plädieren also für eine Videoaufzeichnung bereits bei der Polizei und beim Staatsanwalt?

Ja. Kripobeamte, Staatsanwalt als auch die Sachverständigen können dadurch vorher sehen, ob Vorwürfe vage sind oder zur Hauptverhandlung reichen. Der Verteidiger kann dann zum Beispiel dem Angeklagten sagen: Die Aussage des Kindes ist so klar, was willst Du dagegen noch sagen? Außerdem kann der Angeklagte feststellen: Moment, da wird vom Kind ein Datum angegeben, an dem ich gar nicht da war. Auch falsche Vorwürfe sind durchaus möglich.

Videobefragungen in der Hauptverhandlung wären damit überflüssig?

Möglich ist zum Beispiel, daß der Angeklagte durch das Video erkennt, daß er an der Aussage des Kindes nicht mehr vorbeikommt. Und daß er dann ein Geständnis ablegt.

Das wird jedoch nicht immer der Fall sein.

Das stimmt. Aber wenn das Kind trotzdem noch als Zeuge kommen muß, kann man die Befragung auf wenige Dinge reduzieren.

Und was ist mit Manipulation von Videoaufnahmen?

Die handgeschriebenen Protokolle sind doch viel manipulierbarer. Auf dem Video kann man sicher viel besser erkennen, ob das Kind von alleine spricht oder z.B. auf Fingerzeig der Mutter reagiert.

Wie sollte in der Hauptverhandlung Videotechnik eingesetzt werden?

Der Richter und alle anderen sollten im Saal sein. Aber auch die Angeklagten. Denn bislang wurden sie häufig aus dem Gerichtssaal geführt, weil das Kind sonst gar nichts mehr sagen konnte. Aber Sexualstraftäter sind häufig Menschen mit einem großen Verdrängungsvermögen. Sie reden sich oft ein, daß das Kind lediglich aufgestachelt wurde. Das Miterleben wäre also ein guter Lernschritt auch für den Angeklagten.

Fragen: Katja Ubben

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