Nachgefragt: „Antijüdisch“
■ Kritik am Bremer Zwangsarbeits-Urteil
Das Bremer Landgericht hat gestern die Forderungen zweier ehemaliger jüdischer KZ-Häftlinge nach Lohn für Zwangsarbeit in Bremen zurückgewiesen. Begründung: Die beiden Frauen bekommen bereits eine Rente als Entschädigung. Eine weitere Klägerin soll 15.000 Mark erhalten, weil sie bisher noch überhaupt nicht entschädigt worden ist (siehe Seite 7). Wir sprachen mit dem Bremer Vertreter des Auschwitz-Komittees, Klaus von Münchhausen:
taz: Ist das Urteil eine Weiterentwicklung in Sachen Entschädigung für NS-Opfer?
Klaus von Münchhausen: Es ist völkerrechtlich und auch für das deutsche Recht eine Weiterentwicklung, daß vor einem deutschen Gericht grundsätzlich der Lohnanspruch für eine Jüdin aus Rumänien bestätigt wurde. Sie wird dieses Geld aber nie in ihrem Leben in Empfang nehmen können, weil die Gegenseite – die Bundesrepublik Deutschland – heute wieder angekündigt hat, durch alle Instanzen zu gehen. Das kann fünf, sechs, sieben Jahre dauern.
Sie haben für die anderen Klägerinnen ebenfalls Berufung angekündigt. Welche Hoffnung verbinden Sie damit?
Wir sind siegessicher, weil uns das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1996 schon einmal grundsätzlich Recht gegeben hat. Da wurde gesagt, das Bundesentschädigungsgesetz gewährt für nationalsozialistische Verfolgung Entschädigung, jedoch kein Entgelt für geleistete Zwangsarbeit.
Das Bremer Landgericht hat die 15.000 Mark für die Frau aus Rumänien geteilt in Zwangsarbeiterlohn und Schmerzensgeld. Ist das eine Argumentationsgrundlage?
Nein. Wir argumentieren: Die Entscheidung, 'eine Frau bekommt Recht, zwei bekommen Unrecht', ist im Kern eine antijüdische Entscheidung. Im Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz von 1954 sind alle deutschen Kriegsgefangenen Soldaten entschädigt worden: Und zwar sowohl für die Haft als auch für die Arbeit, die sie leisten mußten. Das Gericht hat gesagt, Juden, die im KZ waren, haben bestenfalls Anspruch darauf, den Freiheitsschaden entschädigt zu bekommen, aber nicht die Lohnforderung.
In diesem Punkt hat das Gericht sich auf das Bundesentschädigungsgesetz berufen.
Das BEG gilt ausdrücklich für Zwangsarbeit nicht, wie ja das Verfassungsgericht gesagt hat. Und deswegen zieht sich das Gericht auf einen Rechtsstandpunkt zurück, der nicht vom Verfassungsgericht geteilt wird. Das ist eine faule Ausrede. Wenn heute ein aktueller Rechtsfall vor Gericht verhandelt würde, würde man auch nicht den einen Schaden mit dem anderen aufrechnen können. Man glaubt aber, mit KZ-Häftlingen könne man das machen. Das ist eine Infamie, das ist in meinen Augen antijüdisch oder rassistisch.
Die eine Frau soll ja das erste Mal Geld bekommen. Könnte das ein Präzedenzfall sein für andere Überlebende?
Hier wird erstmals überhaupt die Rechtslage öffentlich diskutiert. Ich kann jeden KZ-Überlebenden nur ermuntern, sich einen Anwalt zu nehmen und vor Gericht zu gehen, um herauszufinden, ob er Rechtsansprüche hat. Fragen: Joachim Fahrun
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