piwik no script img

NachgefragtNeue Wege gehen

■ Patientenschulung kann stark überge-wichtigen Jugendlichen künftig helfen

Die Universität Bremen geht neue Wege. Das dort entwickelte Trainingsprogramm für Jugendliche, die unter starkem Übergewicht (Adipositas) leiden, gilt als bundesweit einmalig. Das Verhaltenstraining richtet sich an Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren mit dem Ziel, das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Jugendlichen zu verändern und ihr Wohlbefinden zu steigern. Es soll noch im Frühjahr starten. Die taz sprach mit Dr. Petra Warschburger vom Patientenschulungszentrum an der Universität Bremen, die schon seit langem die psychosozialen Folgen von chronischen Krankheiten erforscht.

taz: Was macht das von Ihnen entwickelte Training so einmalig?

Dr. Petra Warschburger: Das Einzigartige ist, dass wir auf die psychosozialen Komponenten der Adipositas stärker eingehen als das bislang üblich ist. Wir gehen davon aus, dass Übergewicht nicht nur ein Problem mit dem Essen ist, sondern sich auch auf das soziale Umfeld des Erkrankten auswirkt. Diesen Ansatz haben wir vor vier Jahren entwickelt und wissenschaftlich begleitet, indem wir in der Kinderklinik adipöse Kinder und Jugendliche trainiert und befragt haben, um herauszubekommen, in welchen Bereichen sie besondere Unterstützung brauchen.

Wie erklären Sie sich, dass Adipositas zunimmt und inzwischen jedes zehnte Schulkind als schwer übergewichtig gilt?

Das spiegelt, wie sich bei uns die Lebensgewohnheiten verändert haben – wieviel Zeit wir vorm Computer verbringen, und wieviel Zeit mit Sport. Auf der anderen Seite steht unsere veränderte Ernährung.

In wie weit sind die Eltern für das Übergewicht ihrer Kinder verantwortlich?

Ich mag diesen Begriff „verantwortlich“ nur bedingt, weil das immer Schuld impliziert. Die Eltern sind sicherlich Vorbilder, aber sie spielen nicht die größte Rolle. In der heutigen Zeit sitzt ein vierjähriges Kind vorm Fernseher und wird mit Werbung konfrontiert, in der glückliche Kinder mit Schokolade belohnt werden. Die Folgen werden nie gezeigt. Wir berücksichtigen natürlich das Familienumfeld und machen vor dem Trainingsprogramm ein Interview mit den Eltern, um darauf hinzuweisen, wie sie ihr Kind unterstützen können. Lob ist dabei sehr wichtig.

Das Training ist verhaltenstherapeuthisch orientiert. Was genau wird erarbeitet?

Zum Beispiel Strategien, wie man Nein sagen kann, wenn man nichts mehr essen will. Eine Alltagssituation, die Kinder häufig erleben, ist zum Beispiel, wenn die Oma das Kind drängelt, mehr als ein Stück Torte zu essen. Wenn die Oma bei einer Ablehnung sich aber vielleicht verletzt fühlt, wird es schwer, nein zu sagen. Auch muss trainiert werden, Stress oder Frust zu bewältigen, ohne gleich zur Chipstüte zu greifen. Wir versuchen die Kinder auch darin zu bestärken, sich im Alltag mehr zu bewegen. Mal zu Fuß irgendwohin gehen oder mit dem Rad fahren.

Sie richten sich an Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren. Warum nicht auch an Kinder?

Weil unser Programm sehr stark kognitiv orientiert ist. Bei Kindern muss man ganz andere Akzente setzen. Eher spielerisch kann man versuchen, ihnen ein Grundwissen über gesunde Ernährung zu vermitteln. Je jünger die Kinder sind, um so mehr müssen auch die Eltern miteinbezogen werden.

Fragen: Anna Russ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen