Nachfolge von Klaus Wowereit: SPD macht sich einen Kopf
Am heutigen Samstag zählt die Berliner SPD das Mitgliedervotum aus. Einiges spricht dafür, dass der Sieger entweder Michael Müller oder Jan Stöß heißt.
Am frühen Samstagnachmittag wird eine blonde Frau Ende fünfzig im Kurt-Schumacher-Haus vor einen Pulk Journalisten treten, mutmaßlich mit einem Zettel in der Hand. Seit acht Jahren ist Barbara Loth Vizechefin der Berliner SPD, aber was sie an diesem Samstag in der Zentrale ihres Landesverbands im Wedding sagen wird, ist in Sachen Partei das bisher Bedeutendste.
Denn Loth wird verkünden, wer das Mitgliedervotum der Berliner Sozialdemokraten gewonnen hat – und, noch wichtiger, ob damit bereits der designierte neue Regierende Bürgermeister gefunden ist oder doch noch eine Stichwahl der beiden Bestplatzierten folgt.
Ab acht Uhr früh zählen die Sozialdemokraten im 1. Stock ihrer Zentrale die Urabstimmung aus, die die Partei seit fast zwei Monaten auf Trab hält. 53 Tage ist es her, dass Klaus Wowereit in einer Pressekonferenz öffentlich seinen Rücktritt für den 11. Dezember angekündigt hat. Binnen Stunden erklärten erst Fraktionschef Raed Saleh, dann der Landesvorsitzende Jan Stöß ihre Kandidatur. Michael Müller, der langjährige Wowereit-Kronprinz und heutige Stadtentwicklungssenator, wartete drei Tage und eine für die beiden anderen wenig schmeichelhafte Umfrage ab, bevor er nachzog.
Die Nerven liegen blank
Ab 20. Oktober: möglicherweise Beginn der Stichwahl mit Versand der Abstimmungsunterlagen
5. November: letzter Tag der Stichwahl
6. November: Auszählung
8. November: SPD-Landesparteitag
13. und 27. November: Abgeordnetenhaussitzungen
11. Dezember: geplanter Rücktritt Wowereits und Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters im Abgeordnetenhaus (taz)
Seither waren die drei in Sachen Eigenwerbung unterwegs gewesen, 14 Mal davon gemeinsam, angefangen vom Juso-Landesparteitag bis zum letzten von vier Mitgliederforen vergangenen Dienstag. Das blieb nicht ohne Folgen: Der Ton, der anfangs so nett war, dass mancher schon enttäuscht über die ausbleibende verbale Keilerei war, hat sich zusehends verschärft. „Die Nerven liegen blank“, sagte vor einigen Tagen einer der drei.
Barbara Loth wird nicht nur Namen und Platzierung nennen, sondern auch Prozente, und die entscheiden, ob das Mitgliedervotum an diesem Samstagnachmittag beendet ist oder in die zweite Runde geht. Denn zu den zuvor festgelegten Regeln gehört, dass der künftige Regierungschef eine absolute Mehrheit braucht – also 50 Prozent plus eine aller abgegebenen Stimmen. Reicht es an diesem Samstag dazu nicht, sollen schon ab Sonntag die Unterlagen für eine Stichwahl gedruckt und ab Wochenbeginn verschickt werden. Die wäre am 5. November beendet, drei Tage vor dem SPD-Landesparteitag, der als Krönungsmesse für den Wowereit-Nachfolger gedacht ist.
Wie viele Mitglieder mitstimmen, ist offen. Bis Wochenbeginn hatten der Deutschen Post zufolge, die die Briefwahlunterlagen bis zum Samstagmorgen hortet, rund 8.400 der knapp 17.200 Berliner Parteimitglieder ihre Stimme abgegeben. Aktuellere Angaben mochte die Partei nicht mehr machen. Die Post hatte sich in der Woche zuvor verzählt und eine weit höhere Beteiligung als Zwischenstand durchgegeben. Bis dato ist also weniger als die Hälfte der hiesigen Genossen daran interessiert, quasi direkt den neuen Regierungschef zu wählen. Weil das nach allgemeiner und insbesondere SPD-Erwartung zu wenig und fast schon peinlich war, folgte am Dienstag per E-Mail ein erneuter Wahlaufruf aus der Landesgeschäftsstelle.
Zwischenzeitliche Wählerbefragungen liegen nicht vor. Es sind lediglich Indizien von den Vorstellungsrunden und vielen Gesprächen und allgemeine Umfragen unter Berlinern und SPD-Anhängern, nach denen wohl Müller vorne zu erwarten ist: Bevor er Ende August ins Rennen einstieg, mochten sich zwei Drittel der Befragten weder Stöß noch Saleh als Regierungschef vorstellen. In einer späteren Umfrage lag Müller deutlich über 50 Prozent. Doch die Entscheidung liegt eben nicht bei jedwedem Befragten, sondern eben nur jenen 17.200 Männern und Frauen, die ein rotes SPD-Mitgliedsbuch in diese privilegierte Position bringt. Als Faustregel gilt bei Beobachtern: Je mehr einfache Mitglieder mitstimmen, desto besser für Müller; je mehr Funktionäre, desto besser für Stöß.
Ergebnisverkünderin Loth ist neben ihrem Ehrenamtsjob im SPD-Vorstand Staatssekretärin in jener Senatsverwaltung, die unter anderem für Frauen zuständig ist. Sie drängt darauf, auch Spitzenpositionen mit Frauen zu besetzen. Doch ausgerechnet bei der SPD und beim ultimativen Spitzenjob in der Berliner Politik mochte sich keine bewerben. Dilek Kolat, die Arbeits- und Integrationssenatorin, galt einmal als interessiert, winkte aber schnell ab. Andere hatten kein Problem, den Job Eva Högl zuzutrauen, der Landesvorsitzenden der SPD-Frauen und Bundestagsabgeordneten aus Mitte. Aber die ist inzwischen als Vizechefin eine feste Größe in der SPD-Bundestagsfraktion. Zudem ist Högl klare Unterstützerin von Stöß: Sie hatte dessen Kandidatur schon Stunden vor Stöß selbst angekündigt. Zu ihm in Konkurrenz zu treten, hätte beiden geschadet.
Kommt es zur Stichwahl?
Steht der Wowereit-Nachfolger bereits am heutigen Samstag fest, wird sich die Frage aufdrängen, warum er bis zum 11. Dezember ein bloßer designierter Regierungschef bleiben soll. Wowereit äußerte zwischenzeitlich, er habe den Termin genannt, weil dann zum letzten Mal in diesem Jahr das Abgeordnetenhaus tagt, das ja den Sieger des Mitgliedervotum offiziell zum Regierenden Bürgermeister wählen soll. Aber selbst wenn die Entscheidung erst in einer Stichwahl fallen sollte, entstünde eine Situation, in der Berlin fünf Wochen lang einen designierten und einen abtretenden Regierungschef hätte. Das ist zwar nach einer Abgeordnetenhauswahl auch möglich, dort aber wegen mehrwöchiger oder noch längerer Koalitionsverhandlungen nicht zu vermeiden.
Nun aber wäre eine frühere Wahl sehr wohl möglich, denn es gibt zwei frühere Abgeordnetenhaussitzungen: am 13. und am 27. November. „Bei uns liegt dazu nichts vor“, sagt zwar die Pressesprecherin des Parlaments, Beate Radschikowsky. Genauso wenig aber hat sich Wowereit dort bislang schriftlich auf seinen Termin festgelegt. Und weil ausgerechnet am 11. Dezember die Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin über den wichtigen Länderfinanzausgleich verhandeln, wäre es sinnvoll, dass dort ein ausgeruhter Regierender sitzt. Einer, der dadurch ein paar hundert Millionen Euro mehr für das Land Berlin rausholen könnte – und nicht nach seiner Wahl fluchtartig das Abgeordnetenhaus verlassen muss und abgehetzt bei seinen neuen Kollegen und der Kanzlerin ankommt.
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