Nach faschistischem Angriff in Erfurt: Mediale Lehren
Das Teilen von Videos rassistischer Gewalt kann Diskriminierung sichtbar machen. Doch Opferschutz sollte an erster Stelle stehen.
E in schreckliches Video machte diese Woche die Runde auf sozialen Medien: Ein Fascho baut sich in einer Bahn in Erfurt vor einem eingeschüchterten 17-Jährigen auf. Der Fascho schreit rassistische Parolen: „Verpisst dich einfach dahin wo du herkommst, du Drecksvieh!“ Der Fascho trägt keine Maske, er spuckt den jungen Syrer an. Der Jugendliche, man sieht sein Gesicht nicht und kann ihn sonst nicht identifizieren, weint. Dann kickt der Fascho seinem Opfer mehrfach gegen den Kopf. Eine mutmaßliche Bekannte des Täters, der am Montag festgenommen wurde, kommt hinzu. Ihre Worte sind deutlich hörbar: „Denk an die Kameras!“
Dieses Video schauten Hunderttausende von User*innen. Eine Diskussion entbrannte, ob man Videos von rassistischer Gewalt überhaupt zeigen sollte. Ganz wichtig: Rassismus nimmt nicht zu, er war schon immer da, wird jetzt nur verstärkt mit dem Smartphone dokumentiert. Wenn Zivilcourage und Opferschutz dabei nicht auf der Strecke bleiben, ist das okay, ja sogar wichtig.
Es gibt die Fraktion, die bei solchen Videos auf Teilen klickt. Das ist dahingehend problematisch, dass die Inhalte vor der Weiterverbreitung oft gar nicht angeschaut oder verifiziert werden. Schlimmer ist es, wenn in den entsprechenden Videos die Identität der Überlebenden nicht geschützt wird. Die Würde wird bei diesen Angriffen immer mit Füßen getreten, im Erfurter Fall ja wortwörtlich. Die Kombination aus identifizierbaren Überlebenden und rassistischer Gewalt muss alle User*innen vorsichtiger werden lassen.
Neun von zehn Videos, die auf meinem Schreibtisch landen, teile ich nicht. Denn Teilen als Selbstzweck ist nicht zielführend. Dennoch ist es wichtig, diesem Land das Problem vor Augen zu führen. Bei verifizierten Fakten und garantiertem Opferschutz muss Deutschland seine hässliche Fratze im Spiegel sehen – sonst ändert sich gar nix.
Und dann gibt es die Fraktion, die auf gar keinen Fall solche Videos sehen möchte. Das hat mehrere Gründe: Einige Überlebende von rassistischer Gewalt werden beim Anblick re-traumatisiert. Deswegen sind klare Triggerwarnungen wichtig, an die ich selbst noch stärker in Zukunft denken möchte. Und dann gibt es jene, die glauben, dass sie mit einem wissenschaftlichen Aufsatz, mit einer Bewerbungsrede beim Landesparteitag oder ihrer Liebesoffensive auf Twitter den Rassismus in diesem Land schon besiegen werden und Reichweite dabei keine Rolle spielt. Das ist naiv und denkt arbeitsteilige Lösungsansätze nicht mit.
Facebook und Instagram haben im Erfurter Fall den deutschesten aller Wege gewählt und das Video kommentarlos (auch auf meinen Profilen) gelöscht. Die beiden Plattformen sind dafür bekannt, rechtsextreme Propaganda im Namen der Meinungsfreiheit stehen zu lassen. Auf Anfrage argumentiert eine Facebook-Sprecherin diesmal mit dem Jugendschutz. Ich würde das mit anderen Worten beschreiben: Aus dem Auge, aus dem Sinn.
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