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Nach der Wahl in HamburgLinke stehen am Pranger

Nach dem Fraktionsaustritt von Dora Heyenn steht die Hamburger Linken–Fraktion unter Beschuss. Im Netz kursieren „Verräter“-Listen.

Für ein soziales Hamburg warb die Linke mit „Mehr Menschlichkeit“. Welche Ironie. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die neue Bürgerschaftsfraktion der Hamburger Linken steht, kaum hat sie sich konstituiert, gewaltig unter Druck. Nachdem die elf Abgeordneten Dora Heyenn nicht als Fraktionschefin bestätigten und Heyenn daraufhin der Fraktion den Rücken kehrte, geht über diese eine vernichtende Medienberichterstattung und ein Shitstorm in den sozialen Netzwerken nieder.

Worte wie „niederträchtig“, „bösartig“ und „hinterhältig“ sind noch die harmlosesten Begriffe, von „Wahlbetrug“ und „Königsmord“ ist die Rede. Im Internet kursieren Listen mit den Namen der sechs „VerräterInnen“, die nicht für Heyenn, die Spitzenkandidatin im Bürgerschaftswahlkampf, gestimmt haben sollen.

Um dem Druck zu entgehen machen einzelne Abgeordnete, die in der geheimen Wahl für Heyenn gestimmt haben, ihr Votum inzwischen öffentlich. Die Fraktion war von Heyenns Abgang völlig überrascht worden. „Wir sind schockiert über diesen Schritt“, so die spontane Reaktion von Cansu Özdemir, eine der beiden neuen Fraktionsvorsitzenden.

Und auch innerhalb der Partei hagelt es deutliche Kritik: Der Hamburger Landesvorstand der Linken spricht von einem „verheerenden politischen Signal“ und appelliert dringend, „den Umgang in der Partei und in der Fraktion miteinander zu ändern“. Seine Analyse: „Der Schaden, der durch die neue Fraktion angerichtet wurde, wird die Linke Hamburg auf Jahre hinweg beschäftigen.“ Die Fraktion solle jetzt öffentlich Rede und Antwort stehen.

Auch Dora Heyenn, die sich die Rückkehr in die Fraktionsgemeinschaft zu einem späteren Zeitpunkt offen hält, legte verbal noch einmal nach. „Die Grenzen dessen, was die Links–Fraktion mit mir gemacht hat, sind überschritten!“, begründete die 65–Jährige, die über Jahre das Aushängeschild der Hamburger Linken war, ihren Abgang. Sie wolle als fraktionslose Abgeordnete in der Bürgerschaft arbeiten, „bis Menschlichkeit in diese Fraktion zurückkehrt“.

Noch vor wenigen Wochen hatte die Linke im Wahlkampf mit Großplakaten geworben, auf denen Dora Heyenn mit dem Ausspruch zu sehen war: „Mehr Menschlichkeit, das muss drin sein“. Was auf die Gesellschaft gemünzt war, gilt nun zu allererst einmal für die Linke selbst.

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12 Kommentare

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  • Ach Leute, jetzt werden hier geheime Wahlen schon als unmenschlich dargestellt, weil das Ergebnis nicht das erwartete war. "Große Führer" hatten und haben wir doch nun wirklich schon zur Genüge in diesem Land. Man sollte endlich mal Schluß machen mit diesem ewigen Personenkult. Das Wahlergebnis ist schlicht Ausdruck eines nicht länger aufzuhaltenden Generationswechsels und aus dieser Sicht durchaus positiv zu bewerten. Dieselben Leute, die jetzt von "Verrätern" schwafeln, hätten bei einem einstimmigen Wahlausgang für Dora hier mit "Die Margot Honecker der Hamburger Linken" oder ähnlichem Schwachsinn getitelt. So what?

    • @Rainer B.:

      Hat man sich also von Alten Knackern ins parlament hieven lassen weil es die "Junge" nicht selbst gebacken bekommen haben? Wird nun die Riege der Erfahrenen durch Unerfahrende ausgetauscht?

      • @Arcy Shtoink:

        Wahlerfolge sind immer Gemeinschaftsleistungen. Einen automatischen Anspruch auf den Fraktionsvorsitz kann daraus niemand ableiten. Auch erfahrene "alte Knacker", wie Sie sagen, mussten ihre Erfahrungen in jungen Jahren sammeln. Parteien, die sich nur auf eine Person konzentrieren, stehen und fallen mit dieser Person. Das ist weder sinnvoll, noch klug, sondern einfach nur doof und bequem.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Erfolg ist unheimlich, daher muss der Erfolgreiche unbedingt einen Denkzettel erhalten, damit er nur ja nicht übermütig wird, aber natürlich weitermachen. Um beides zu erreichen, muss man sich absprechen oder es geht alles den Bach runter. Wie jetzt. Witzig sind dann die Reaktionen der Gegenkandidaten, die ihre eigene Wahl bedauern, weil es doch ganz anders gemeint war. Wahrlich eine Posse.

  • Wie viele Beispiele braucht es noch, um endlich einzugestehen, dass der Zusammenschluss WASG und PDS ein Fehler war? Deutschland braucht eine neue soziale Bewegung. Doch als ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, mich dieser Partei anzuschließen, gab es den feierlichen Beschluss, eine DDR-Nostalgie-Partei zu sein. Politisch gibt es in der Linken zwei diametral entgegengesetzte Zielvorstellungen, Politikwissenschaftler sortieren sie in drei Lager. Jetzt sollte der konsequente Schnitt folgen und der historische Fehler rückgängig gemacht werden. PDS und WASG sollten wieder als unabhängige Organisationen auftreten und eine klare Kante fahren. Viele mögen den PDS-Stalinismus mit fester Hierarchie und zentraler Organisation. Andere wollen mehr den gewerkschaftlich orientierten Kampf gegen TTIP und gegen den Manchester Kapitalismus. Beides geht nicht.

    • @mdarge:

      Zwar richtig, aber in allen westdeutschen Länder (bis auf das Saarland) reichen auch zwei zusammengeschlossene linke Parteien nicht aus, um über 5% zu kommen.

      Auf kommunaler Ebene wird es hier und da möglich sein, auch getrennt zu marschieren. Auf Landesebene ist es aufgrund des westdeutschen Antikommunismus nicht empfehlenswert.

       

      Ich erwarte eigentlich eher, dass in den ostdeutschen Ländern mal Alternativen entstehen. Dort ist DIE LINKE eigentlich groß genug, um auch eine Spaltung zu verkraften.

    • @mdarge:

      Jeder hat die Freiheit, jederzeit eine neue Partei zu gründen.

       

      Hier geht es aber nicht um politische Inhalte, sondern um Moral.

      Man kann sich nicht hinter einem Gesicht versteckt wählen lassen und dann sein eigenes Gesicht ungewählt in den Vordergrund stellen.

      Ehrenhaft kommen die nur noch mit Selbstmord aus der Nummer raus.

      • @athens2020:

        Parteien werden als politische Vereine missverstanden. Parteien sind jedoch mehr, drücken Paradigmen aus, vertreten politische Bewegungen.

         

        Hier geht es um Lagerdenken. Auf der einen Seite zentralistisches Kaderdenken, auf der andern gewerkschaftliche Anteilnahme am Produktionsprozess. Den Mitarbeitern vor Ort sollen mehr Rechte gegenüber den Kapitalgebern eingeräumt werden. Im Hamburg hat Ideologie gegen Menschlichkeit gesiegt. Zumindest sieht es gegenwärtig so aus.

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Schlimm, da haben Abgeordnete von Ihrem WAHLrecht gebrauch gemacht. Schlimm, schlimm, schlimm.

    Und die dachten auch noch tatsächlich, die Wahl wäre geheim. Wie naiv doch die SED-Nachfolgepartei sein kann und willkommen in der real existierenden Demokratie.

  • Tja. Da haben sie sich offenbar verkalkuliert, die sechs cleveren Fraktionsmitglieder, die angeblich wider Willen zu "Königinnenmördern" geworden sind. "Niederträchtig", "bösartig" und "hinterhältig" scheinen mir allerdings die falschen Vokabeln zu sein. Mit "dumm" und "ignorant" sind diese Leute höchstwahrscheinlich treffender beschrieben. Die Hamburger Intriganten haben vermutlich einfach von sich auf ihre Vorsitzende geschlossen. Sie waren offensichtlich weder willens noch imstande, sie realistisch einzuschätzen – und haben sich blamiert mit ihrer Gleichsetzung. So was passiert, wenn man ausschließlich um den eigenen Bauchnabel kreist und weder Augen noch Ohren hat für die Menschen, die rechts und links von einem arbeiten und leben. Es ist so unüblich, dass man es eine "Nachricht" nennen kann, im Grunde nicht.

     

    Im Übrigen ist es natürlich jedem Abgeordneten freigestellt, seine Stimme für oder gegen einen Kandidaten abzugeben. Als Abgeordneter ist man ausschließlich seinem Gewissen verantwortlich. Schlecht, wenn man keins hat. "Mehr Menschlichkeit [...] muss drin sein", wenn Politik denn "funktionieren" soll. Sogar in Hamburg.

  • Einmal unabhängig davon, ob sich die Linken in Hamburg mit ihrem Vorgehen politisch zum Deppen gemacht haben. Man wird eben erpressbar, je mehr man bei Wahlkämpfen auf "Gesichter" als Zugpferd setzt. Diese Phase haben die Grünen bereits lange hinter sich gebracht, sind folgerichtig zur karrieresüchtigen FDP-Kopie degeneriert. In Baden-Württemberg schmeißt sich 'Mischterpräsident' Kretschmann an das 'gesunde Volksempfinden' - um seine Wiederwahl 2016 zu sichern. Da wird der konseravtive Mainstream im Ländle damit befriedet, dass unerwünschte Roma ins Elend nach Serbien abgeschoben werden. Ihre Probleme mit der 'Parteiprominenz' hatten die Linken ja schon zur Genüge mit Lafontaine, Gysie und Wagenknecht. Nun geht´s halt auch in der Provinz los, mal abwarten, wie es mit King-Ramelow als Miprä wird...

    • @Philippe Ressing:

      Herr Ramelow ist auf dem besten Weg der "Kretschmann" von Thüringen/Linkspartei zu werden.

       

      Beliebt beim Wahlvolk, verhasst bei irgendwelchen Ideologen im Elfenbeinturm