piwik no script img

■ Nach der RAF-Auflösung müßte die deutsche Politik reagierenAmnestie für RAF und RAF-Gefangene?

Eine Amnestie ist keine Begnadigung. Letzterer geht eine jeweilige Untersuchung des einzelnen, spezifischen Falles voraus. Die Tat als solche bleibt strafwürdig, sie wird aber freiwillig verziehen. Eine Amnestie dagegen ist eine Strafbefreiung, die sich nicht auf Einzelfälle, sondern auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen und Tätern bezieht. Die Tat als solche wird als nicht geschehen betrachtet. Eine Amnestie kann in der Bundesrepublik nur auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Sie ist daher kein Akt der Barmherzigkeit – sie wird gewährt aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit.

So wurde zum Beispiel 1970 eine allgemeine Amnestie für solche Personen verkündet, die während der Zeit der APO und der Studentenbewegung gegen den Vietnam-Krieg oder den Springerkonzern demonstriert und sich dabei strafbar gemacht hatten. Die Proteste wurden damit rückwirkend vom Gesetzgeber als Ausdruck eines legitimen Wunsches nach einer Veränderung und Teilhabe an den gesellschaftlichen Prozessen anerkannt. Also: Auch eine Amnestie für die Rote Armee Fraktion?

Eine Amnestie ist kein Schlußstrich – sie ist vielmehr eine Anerkennung des Vergangenen und der Motive aller Beteiligten als Voraussetzung für seine Überwindung. Den Anfang hat die Guerilla mit ihrer Waffenstillstandserklärung vor nunmehr sechs Jahren und mit ihrer Selbstauflösung vor wenigen Tagen gemacht. Voraussetzung aber wäre auch, die Rolle des Staates und seiner Strafverfolgungsbehörden zur Disposition zu stellen.

Eine Amnestie, die dem Anspruch der Überwindung einer anachronistischen Konfrontation gerecht werden soll, muß sowohl zu einer Rücknahme der Antiterrorgesetze als auch zu einem Straferlaß für die Mitglieder der RAF in der Illegalität führen. Eine weitere Voraussetzung wäre, daß die RAF über die Opfer ihrer mörderischen Ideologie sprechen würde. Doch das scheint derzeit eher utopisch – wie die derzeitige Bonner Debatte über eine Überprüfung der Sondergesetze zur Terrorismusbekämpfung zeigt. Das gilt auch für die Aussagen in der letzen Erklärung der RAF.

Beide, die frühere Rote Armee Fraktion und der Staat, verklären im Rückblick ihr Treiben. Die Worte Amnestie und Amnesie trennt nur ein Buchstabe. Einen kleine Differenz, aber ein Unterschied ums Ganze. Wolfgang Gast

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen