piwik no script img

Nach den Wahlen im LibanonBlockbildung im Gange

Die libanesischen Wahlen sind ausgezählt: Hisbollah und Verbündete verlieren, die Opposition legt zu. Die Regierungsbildung dürfte dauern.

Abgewählt: Hisbollah-Führer Narallah auf einem Plakat in Aley, Libanon Foto: Marwan Maamani/dpa

Beirut taz | Die endgültigen Ergebnisse der libanesischen Parlamentswahlen spiegeln die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der politischen Klasse wider: Nur 41 Prozent wählten überhaupt, unabhängige Op­po­si­ti­ons­kan­di­da­t*in­nen konnten 16 von 128 Sitzen ergattern. Im Wahlbezirk Beirut zogen 5 von ihnen ins Parlament ein.

Die Miliz und Partei Hisbollah und ihre Verbündeten haben ihre bisherige Parlamentsmehrheit verloren. Statt zuvor 71 stellen sie nun nur noch 62 Abgeordnete. Zwar hat die Hisbollah selbst keinen ihrer 13 Sitze verloren – auch durch Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation –, ihre Alliierten aber schon, mindestens 2 davon an Oppositionelle.

Einer von ihnen – Saad Ha­riri, Ex-Ministerpräsident und wichtigster sunnitischer Politiker im Land – hatte die Wahlen boykottiert, so wie viele seiner An­hän­ge­r*in­nen. Hariri teilte sich einst die Macht mit der Hisbollah in einem „Einheitskabinett“. Das brachte ihm 2017 so viel Unmut seines vorigen Förderers Saudi-Arabien ein, dass sie ihn entführten und zum Rücktritt zwangen – den er später wieder zurücknahm.

Vor allem die christliche Freie Patriotische Bewegung, eine wichtige Verbündete der Hisbollah, schloss bei den Wahlen am Sonntag schlecht ab. Es ist die Partei des bisherigen Präsidenten Michel Aoun, die von seinem Schwiegersohn Gebran Bassil geleitet wird. Bei den Massenprotesten 2019 wurde er zum Inbegriff der Korruption. Dafür steht er seit 2020 auch auf der Sanktionsliste der USA. Seine Partei ist nun nicht mehr der größte christliche Block im Parlament – den stellen jetzt die rechtsnationalen Libanesischen Kräfte, die 20 Sitze gewannen. Sie werden von den USA und Saudi-Arabien unterstützt – die wiederum sind der Hisbollah mit ihrer Schutzmacht Iran feindlich gesinnt.

Große Aufgaben warten – etwa die Stromversorgung

Die beiden Blöcke stehen sich feindlich gegenüber. Das könnte die Regierungsbildung blockieren. Denn keine der Parteien scheint ihre Niederlage wirklich anzuerkennen. Dabei nutzt vor allem die Hisbollah die Angst vor einem erneuten Bürgerkrieg für sich: Um die Ermittlungen zu der Explosion im Beiruter Hafen 2020 zu stoppen, protestierten ihre An­hän­ge­r*in­nen vergangenen Oktober gegen den Untersuchungsrichter. Dabei kam es zu Schusswechseln mit den Libanesischen Kräften. Zwei Abgeordnete, die wegen der Explosion im Beiruter Hafen 2020 angeklagt sind, wurden nun wiedergewählt.

Was Geschlechterparität angeht, sieht es nicht gut aus: Gerade mal 8 Frauen ziehen in das Parlament ein. Das sind mehr als je zuvor, aber bei 128 Sitzen wenige. 4 von ihnen sind Oppositionelle.

Die Wahlen waren weder unabhängig noch frei: Parteiangehörige schauten Menschen beim Wählen über die Schulter, andere begleiteten sie unter dem Vorwand in die Kabine, die Wäh­le­r*in­nen seien behindert und bräuchten Unterstützung. Die libanesische Zeitung L’Orient-Le Jour berichtete, dass in allen politischen Lagern bis zu 200 US-Dollar für Wahlstimmen geboten worden seien. Das bestätigte auch die Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union. Dennoch lobte der Chefbeobachter, dass die Wahlen überhaupt stattfanden.

Auf die neue Regierung warten große Aufgaben: Der Haushaltsplan für 2022 ist noch immer nicht beschlossen. Im Libanon gibt es nur stundenweise zuverlässig Strom. Alternative Energiequellen, etwa aus Jordanien oder Ägypten, lassen auf sich warten. Zwar gibt es einen Fahrplan mit dem Internationalen Währungsfonds zur wirtschaftlichen Zukunft des Libanon – doch um die versprochenen Gelder zu bekommen, muss die neue Regierung Reformen umsetzen. Das hatte die bisherige bis zuletzt nicht geschafft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!