Nach den Unruhen in Frankreich: Aus Angst wird politisches Kapital
In Frankreich sammelt ein rechter Politiker Spenden für den Polizisten, der den 17-jährigen Nahel erschoss. Marine Le Pen hält sich auffällig zurück.
In dieser Nacht fanden in der Nähe Konfrontationen zwischen jugendlichen Plünderern und der Polizei statt, bei der die Ordnungskräfte vermutlich auch Hartgummigeschosse einsetzten. Die Staatsanwaltschaft hält einen Zusammenhang mit den Krawallen daher für plausibel und hat die interne Polizeiinspektion IGPN mit der Aufklärung des Todesfalls beauftragt.
Bemerkenswert ist dabei, dass dieser Vorfall der Öffentlichkeit mit mehrtägiger Verspätung mitgeteilt wird. Das hat dazu geführt, dass in den Netzwerken sogleich der Verdacht aufkommt, dass da etwas vertuscht würde. Die Untersuchung der IGPN soll so rasch als möglich Licht in die Sache bringen. Nur haben viele Menschen in Frankreich nicht alle viel Vertrauen in diese Polizeibehörde, die gegen Beamtenkollegen ermitteln muss.
Sollte der Todesfall durch einen absichtlichen Schuss oder einen Querschläger verursacht worden sein, könnte die gegenwärtige Beruhigung nur ein trügerischer Waffenstillstand sein.
Polemik vonseiten Eric Zemmour und Jordan Bardella
Die Spannung bleibt. Dies belegt auch die politische Polemik, die rasch eskalierte. Das führte vor allem zu einer Polarisierung: Während die Linke sich mit den Opfern der Polizeigewalt solidarisiert, sammelt die Rechte, die sich kritik- und bedingungslos hinter die Polizei stellt, Geld für die Familie des Beamten, der in Nanterre den 17-jährigen Nahel, vermutlich ohne Notwehr, erschossen hat. Lanciert hat diese Spendenkampagne, bei der bereits 1,5 Millionen Euro zusammengekommen sind, der Politiker Jean Messiah, ein Vertrauter des rechtsextremen Ex-Präsidentschaftskandidaten Eric Zemmour.
Für die Linke ist diese politische wie finanzielle Unterstützung des Polizisten eine Provokation. Die Mutter des erschossenen Nahel ist schockiert. Sie will laut ihrem Anwalt gegen Messiah eine Klage wegen Betrugs und Täuschung sowie Verleumdung einreichen, denn der Rechtsextremist habe ihren Sohn zu Unrecht als „vorbestraften Wiederholungstäter“ bezeichnet. Messiah konterte mit der Ankündigung, er werde mit einer Gegenklage wegen Verleumdung reagieren.
Heftig gestritten wird auch über die Forderung der Rechten, den Familien, die ihren Nachwuchs nicht im Zaume halten könnten, Sozialgelder zu kürzen oder generell die staatlichen Subventionen für die benachteiligten Vorstadtquartiere – die sogenannten Banlieue – zu kürzen und das Geld für ländliche Regionen zu verwenden. Das regte der Parteichef des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, an.
Eine hält sich bezeichnenderweise aus der Polemik heraus: die RN-Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Keinesfalls will sie sich sagen lassen, sie habe Öl ins Feuer gegossen. Das überlässt sie ihrem Nachfolger Bardella. Der erklärte zu den Vorfällen von Nanterre, diese hätten bewiesen, dass Frankreich „zu viele Immigranten aufgenommen“ habe.
Jean-Marie Le Pen: „Die Fakten sprechen für mich“
Wie schon bei ihrer letzten Präsidentschaftskampagne möchte Le Pen nicht als Extremistin dastehen, sondern als verantwortungsvolle Staatspolitikerin, die nicht Furcht, sondern Vertrauen einflößt. In einer Videobotschaft beschwor sie ihre Anhänger aus der Sorge um den Rechtsstaat, „nichts zu tun, was die für die Ordnung zuständigen Behörden behindern könnte“.
Diese Taktik hat Tradition. Wie die Zeitung Le Monde im Kontext der neuesten Welle von Gewalt von jugendlichen Randalierern in Erinnerung ruft, hatte bei den Krawallen in den Banlieue von 2005 Jean-Marie Le Pen – damals Chef des rechtsextremen Front National und Vater der heutigen Anführerin der extremen Rechten in Frankreich – erklärt: „Die Fakten sprechen für mich.“ Die anschließenden Umfragen bestätigten, dass sich aus der Angst für Extremisten politisches Kapital schlagen lässt.
Schon die vorläufige Bilanz der Krawalle tönt wie ein zukünftiges Wahlargument in Marine Le Pens Ohren: Laut französischem Innenministerium sind (bisher) mindestens 5.000 Fahrzeuge und 1.000 Gebäude verbrannt oder verwüstet worden, 250 Polizei- und Gendarmerieposten wurden angegriffen, 700 Beamte verletzt.
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