Nach den Terroranschlägen in Paris: Bürgerrechte auf halbmast
Ausgehverbot, Durchsuchungen ohne Gerichtsbeschluss, Personenverkehr eingeschränkt – Frankreich lebt im Notstand und in Trauer.
Noch bis Tagesende am Dienstag dauert die angeordnete Nationaltrauer. Die Fahnen stehen auf halbmast, seit Samstag sieht man Kerzen in Gläsern, die vor vielen Fenstern zum Zeichen der Einheit gegen den Terrorismus flackern. Trotz eines Kundgebungsverbots versammeln sich in allen Städten des Landes immer wieder die Menschen auf Plätzen. Sie haben das Bedürfnis, wenigstens mit solchen Gesten etwas tun zu können, um mit der Trauer und Angst nicht alleine zu sein.
„Même pas peur“ (Kein bisschen Angst) steht auf einem an der Statue auf der Place de la République befestigten Transparent. Daneben die lateinische Devise der Stadt „Fluctuat nec mergitur“ (Sie schwankt, aber sinkt nicht), die eine schreckliche Aktualität erhalten hat. Auch im Internet wollen sich die Leute gegenseitig Mut machen: „Ich sitze auf einer Terrasse“, schreiben viele auf Facebook oder Twitter, andere proklamieren, sie gingen nun erst recht ins „Bistro“.
Enorm sind auch die Erwartungen gegenüber der Staatsführung. Die Priorität des französischen Staates ist es, die Bürger und Bürgerinnen, so gut wie dies nur möglich ist, vor weiteren Attacken zu schützen und beabsichtigten Terroranschlägen mit Überwachungs- und Präventivmaßnahmen zuvorzukommen. Präsident Hollande hat deshalb den Notstand über Frankreich verhängt.
Der „schwarze Freitag“
Dieser ermächtigt die Sicherheitskräfte unter anderem, ein Ausgehverbot zu beschließen, den Personenverkehr einzuschränken, außerhalb der rechtlichen Bestimmungen Kontrollen durchzuführen und auch ohne richterlichen Befehl Häuser zu durchsuchen. Die Polizei kann Personen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, unter Hausarrest stellen und die Sicherheitskräfte können die Grenzen (im Einklang mit dem Schengen-Abkommen) schließen.
Diese in einem Gesetz von 1955 vorgesehenen Maßnahmen sind sofort in Kraft getreten und dienen auch der Fahndung nach Komplizen und der Verhinderung von terroristischen Plänen. Die Dauer ist nach dem Regierungsdekret auf zwölf Tage beschränkt.
In so kurzer Zeit werden weder die Ermittlungen zum „schwarzen Freitag“ abgeschlossen sein, noch wird die Gefahr neuerlicher Attentate gebannt sein. Staatspräsident Hollande hat deshalb am Nachmittag in einer Ansprache vor den beiden zum Kongress vereinten Parlamentskammern eine Verlängerung des Notrechts für drei Monate verlangt. Für ihn geht es darum zu zeigen, dass die Staatsspitze völlig entschlossen ist, diesen „Krieg“ zu gewinnen.
Selbst Le Pen eingeladen
Hollande braucht dazu das Vertrauen und die Mithilfe aller. Zu diesem Zweck hatte Hollande am Sonntag versöhnlich die Vorsitzenden aller Parteien eingeladen, auch der Opposition, unter ihnen Exstaatspräsident Nicolas Sarkozy und die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen.
Beim Kongress im Schloss von Versailles war die nationale Einheit nur noch schöne Fassade. Die Opposition verhehlt nicht, dass sie schwere Zweifel an der Kompetenz und Entschlossenheit der Staatsführung hegt. Noch beim Verlassen des Élysée-Palasts am Sonntag hatte Sarkozy die bisherige Sicherheitspolitik kritisiert.
Viele Experten wie der frühere Antiterror-Untersuchungsrichter Marc Trévidic haben die Behörden und die Öffentlichkeit seit Monaten vor Schlägen in bisher ungeahntem Ausmaß gewarnt. „Wir sind nunmehr im Zentrum des Zyklons, das Schlimmste steht uns noch bevor“, hatte Trévidic vor einem Monat in Paris-Match erklärt.Wurde die Warnung von der Staatsführung nicht genügend ernst genommen? Die Opposition wirft Hollande vor, aus den Attentaten vom Januar gegen Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt „HyperCasher“ nicht die richtigen Lehren gezogen zu haben.
Hardliner-Regierung
Hollande und die Regierung stehen unter extrem starkem Druck, sie werden nun zu Hardlinern, und sie werden zu Mitteln greifen, die sie vorher aus Rücksicht auf die Bürgerrechte und die Privatsphäre vermeiden wollten. Der Notstand kann sich so unversehens in den Normalzustand entwickeln.
Schon die kürzliche Verschärfung der massiven Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation im Namen der Terrorismusbekämpfung wurde von Gegnern mit dem „Patriot act“ in den USA nach dem 11. September 2001 verglichen. Be-sonders ist ihnen die weitreichende und unkontrollierbare Speicherung von Kommunikationsdaten bei den Providern mit einer Art Blackbox (dem sogenannten IMSI-Catcher) ein Dorn im Auge.
Nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus dem Regierungslager kommen Vorschläge, um für eine wirksamere Prävention des Terrorismus „härtere Saiten“ aufzuziehen. Der konservative Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, sagt im Klartext, was die anderen in diesem freiheitsliebenden Land so nicht ausdrücken wollen: „Wir müssen akzeptieren, dass gewisse Freiheiten eingeschränkt werden.“ Sein Parteikollege Laurent Wauquiez fordert die Internierung von radikalisierten Islamisten, Sarkozy möchte sich auf eine Überwachung mit elektronischen Fußfesseln beschränken.
Aber auch Premierminister Valls geht in diese Richtung, er will vermehrt verurteilten Terroristen die französische Nationalität entziehen und droht mit der Schließung von Moscheen, in denen Hassprediger auftreten. In Frankreich herrscht ein zeitlich befristeter Notstand, doch diese Ausnahmesituation droht zum Normalzustand zu werden. Wenn aber ausgerechnet die Freiheit, um die es beim Kampf gegen den Terrorismus geht, aus vermeintlichen Effizienzgründen geschwächt und vermindert wird, dann hätten die Attentäter gewonnen.
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