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Nach den Pentagon-LeaksDer Feind bleibt Putin

Gemma Teres Arilla
Kommentar von Gemma Teres Arilla

Die diplomatischen Verstimmungen werden schnell vergessen sein. Die Allianzen mit den USA sind zu komplex, und wer zu bekämpfen ist, ist klar.

Kein Land hat die Ukraine seit Kriegsbeginn so unterstützt wie die USA Foto: REUTERS/Jonathan Ernst

D iscord, einen Online­dienst für ­Instant Messaging, der durch die Pentagon-Leaks nun auch Non-­Gamern bekannt sein dürfte, kenne ich als Kommunikationskanal der Jugendlichen bei mir zu Hause. Meistens wird parallel geschossen. Sie werden zu Ego-Shootern in grafisch realitätsnahen Kriegsszenarien bei „Call of Duty“ oder simulieren Offen­siven in „Arma 3“, einem Spiel mit On-Screen-Hinweisen wie „Eilmeldung“ oder „Liveübertragung“, die in Fake-Videos über den Ukraine­krieg benutzt wurden. Das ukrainische Digitalministerium fordert das Verbot eines anderen umstrittenen Videospiels, „Atomic Heart“, das die Sowjetunion als Supermacht zeigt.

Aus diesem digitalen Milieu stammt der 21-Jährige, der mutmaßlich die Dokumente aus dem Pentagon geleakt hat. Der Mitarbeiter einer US-Militärbasis wurde am 13. April festgenommen und ins FBI-Büro in Boston gebracht. Anders als bei Snowden, Assange oder Manning ist dies kein Fall eines Whistleblowers, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Hier ging es mutmaßlich um Faszination für Waffen und um Aufmerksamkeit von Gleichgesinnten, die Stunden in einer vom Krieg geprägten digitalen Welt verbringen. Das Problem: Geleakt in dieser Online-Gamerwelt wurden geheime CIA-Dokumente. Geschadet hat dies dem Vertrauen zwischen Partnerländern und Alliierten. Zumindest vorübergehend.

Die bis zu 100 abfotografierten geheimen Unterlagen, die peu à peu an die Öffentlichkeit gelangen, haben das bestätigt, was Ex­per­t:in­nen und Jour­na­lis­t:in­nen seit Wochen von der Front berichteten: hohe Verluste auf beiden Seiten, fehlende Munition für die Ukrainer:innen, versprochene Panzer, die zu spät geliefert werden. Die Pentagon-Leaks zeigen zudem, dass wir in einer Welt leben, in der sich Realität und Fiktion, Information und Desinformation vermengen. Ein echter und brutaler Krieg tobt mitten in Europa, ein Land wird zerstört, Millionen Menschen sind zur Flucht gezwungen. Gleichzeitig wird eine virtuelle Kriegserzählung aufgebaut.

Doch Vertrauen zwischen Partnern ist ein ständiges Kalibrieren, bei dem es immer auch um nationale Interessen geht.

Der Unmut Kyjiws gegenüber den USA wegen der Bespitzelung von Präsident Wolodimir Selenski wird nur ein paar Wochen dauern, denn die Ukraine braucht Washington, um gegen Russland zu gewinnen. Seit 2014 liefern die USA militärische Ausrüstung. Seit dem 24. Februar 2022 hat kein Land der Ukraine so viel militärische Unterstützung zugesagt wie die USA – laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) circa 44,3 Milliarden Euro, gefolgt von Großbritannien und Polen.

Auch nach den Pentagon-Leaks gilt: Vertrauen zwischen Partnern ist ein ständiges Kalibrieren, bei dem es immer auch um nationale Interessen geht

Dass die USA Partner ausspionieren, ist nicht neu. Die geltende Regel ist die des „Five eyes“-Geheimdienstbündnisses (USA, Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien) – alle anderen können zu Spionagezielen werden.

Trotz angekündigter Untersuchung wird deshalb auch Südkorea bald wieder bestens mit Biden befreundet sein, beide Länder brauchen sich in ihrer komplexen Chinapolitik. Das Gleiche gilt für Israel oder Ägypten, die ebenfalls in den jüngsten Enthüllungen auftauchen. Dass die Türkei eine potenzielle Waffenquelle für die russische Wagner-Söldnertruppe sei, ist ebenfalls nicht überraschend: Ankara richtet seit Jahren seine Position je nach Gusto aus – der EU-Flüchtlingsdeal war dafür ein Beispiel.

Auch dass die Brüderschaft zwischen Ungarn und Serbien sowie Russland solide ist, steht nach den Pentagon-Leaks infrage: Budapest hätte demnach heimlich westlichen Verbündeten erlaubt, seinen Luftraum zu nutzen, um Waffen in die Ukraine zu schicken, Belgrad hätte Kyjiw Waffenlieferungen zugesagt. Das wird ein paar Anrufe aus Moskau kosten, aber Putin hat günstige bilaterale Gasdeals mit beiden Ländern gesichert. Gas bleibt eine der wichtigsten Karten, die Putin spielen kann. Das hat seine Beziehung zu Belarus gezeigt. 2019 hätte Alexander Lukaschenko keinen russischen Luftwaffenstützpunkt in Belarus erlaubt, um russische Kampfflugzeuge zu stationieren.

Bereits im Dezember 2022 veröffentlichte die New York Times Leaks zu „Putins Krieg“: geheime Schlachtpläne, Kommunikation russischer Soldaten und Kreml-Vertrauter. Auch die Cyberangriffe der russischen Solarwinds-Hacker gehören in den Kontext des laufenden virtuellen Kriegs, denn die Gruppe ist nach Angriffen auf EU- und US-Behörden wohl noch immer aktiv.

Jedoch dürften die Pentagon-Leaks ein Weckruf für Moskau sein, denn sie zeigen, wie dicht US-nahe Agenten an russischen Topinformationen sind. Allen Vertrauensverlusten zum Trotz sollte deshalb niemand vergessen, wer der autoritär geführte Staat in diesem Krieg ist.

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Gemma Teres Arilla
Leitung taz Panter Stiftung
Jahrgang 1982, ist Leiterin der taz Panter Stiftung. Zuvor war sie stellvertretende Auslandsressortleiterin und taz-Europa-Redakteurin. Bei der taz hat sie im Mai 2022 als Themen- und Nachrichtenchefin angefangen. Sie berichtet seit 2005 als freie Korrespondentin für Tageszeitungen, Fernseh- und Radiosender über Deutschland, Zentral- und Osteuropa. Ihre Karriere als Journalistin hat sie in Spanien gestartet und an der FU Berlin hat sie sich auf Osteuropa und Russland spezialisiert. Mehrere multimediale Projekte hat sie initiiert und durchgeführt, um Mehrsprachigkeit, Vielfalt und Toleranz in der Gesellschaft zu fördern.
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2 Kommentare

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  • Ach , die leaks von Snowden und Manning waren doch auch schnell vergessen bzw. hatten absolut deprimierend wenig Folgen. Im Sinne von Verbesserungen. Oder auch nur angemessenen Strafen. Aus Gründen. Und Snowden hat übrigens auch weniger Kriegsverbrechen aufgedeckt, sondern das absolut monströse Ausmaß der Überwachung durch (vor allem) us-amerikanische und britische Geheimdienste. Die vermeintliche Sorge, man könne vergessen, "wer in diesem Krieg der autoritär geführte Staat ist", wenn man sich ernsthaft mit den teils bedenklichen Inhalten des leaks beschäftigt (da gab es ja doch einiges, das hier nicht erwähnt wird), ist Unsinn. Es sei denn man meint, eine infantile Einteilung der Welt in schwarz-weiß, böser Wolf und Rotkäppchen ist nötig und angemessen. Und wenn die Dokumente echt sind und die Quelle des leaks nur ein geltungssüchtiger Spinner ohne positive politische Ziele war, finde ich das auch deprimierend. Warum gibt es nicht mehr Snowdens, Ellsbergs, Mannings? Ich hab´ leider nix zu leaken und es ist wahrscheinlicher dass ein Nilpferd Schwanensee tanzt als dass ich irgendwas hacke, sorry:(



    Das hilft natürlich auch alles nichts, wenn die leaks keine oder jedenfalls keine angemessenen Folgen haben. Was Assange, Manning und Snowden (als bekannteste Beispiele) erleiden mussten und müssen, ist eine Katastrophe, die durch das Versagen hinsichtlich angemessener Folgen der leaks noch potenziert wird. Ellsberg kam damals immerhin persönlich noch besser weg - wurde nicht weggesperrt, verfolgt, musste nicht in Russland versauern etc. Es ist also auch kein positiver Trend zu sehen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "".......so viel militärische Unterstützung zugesagt wie die USA – laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) circa 44,3 Milliarden Euro, gefolgt von Großbritannien und Polen.""

    ===

    Das Kieler Weltwirtschaftsinstitut führt 2 Listen.



    Werden militärische, humanitäre und finanzielle Hilfen an die Ukraine zusammen gezählt ist die USA der größte Unterstützer - gefolgt von der EU, dann UK und an 4. Stelle folgt die Bundesrepublik.

    In der Liste der Militärhilfen differenziert nach Staaten steht die Bundesrepublik nach den USA & UK an 3. Stelle.

    www.ifw-kiel.de/de...e-support-tracker/

    www.bundesregierun...en-ukraine-2054514