Nach den Kommunalwahlen in der Türkei: „Wir lassen uns den Sieg nicht nehmen“
Nachdem Ekrem İmamoğlu in Istanbul gewonnen hat, gibt sich die CHP selbstbewusst und kämpferisch. Viele Menschen unterstützen sie.
Als Canan Kaftancıoğlu, Vorsitzende der Istanbuler CHP, am frühen Dienstagabend ihr Pressestatement beendete, begann der größte Teil der anwesenden Reporter zu klatschen. Für die Vorsitzende der Oppositionspartei dürfte es das erste Mal in ihrer politischen Karriere gewesen sein, dass die Medien sie unterstützen. Doch seit der Kandidat der Opposition, Ekrem İmamoğlu, in der Nacht von Sonntag auf Montag die Wahl in Istanbul gewonnen hat und der Vorsitzende der Wahlkommission am Montagvormittag bestätigt hat, dass İmamoğlu in Istanbul hauchdünn vorne liege, ist alles anders.
Eine Zeitenwende bahnt sich an. Das Pressezentrum der CHP, ursprünglich als Wahlkampfkoordinationszentrum provisorisch am Rande eines Industriegebietes im Norden der Stadt eingerichtet, wird von den Medien geradezu belagert. Interessierten sich die türkischen Mainstream-Medien jahrelang so gut wie gar nicht mehr für die CHP, ist jetzt jeder Sender rund um die Uhr vor Ort. Als Canan Kaftancıoğlu berichtete, wie die CHP auf die vielfachen Einsprüche der AKP in Istanbul reagiert, wurde jedes Wort gesendet.
„Wir haben die originalen Ergebnisse aus allen Wahllokalen“ sagte sie, „für uns kommt es jetzt darauf an sicherzustellen, dass die an verschiedenen Plätzen gesammelten Wahlurnen nicht im Nachhinein manipuliert werden“. Bei korrekter Neuzählung würde sich nur herausstellen, dass die CHP mehr und nicht weniger Stimmen bekommen habe.
Tatsächlich haben erste Überprüfungen der örtlichen Wahlkommissionen in Kadıköy und Üsküdar, zwei Stadtteilen auf der asiatischen Seite von Istanbul, genau das ergeben: Der Stimmenanteil von İmamoğlu stieg um mehrere hundert Stimmen. Entsprechend optimistisch ist die Stimmung bei allen CHP-Mitgliedern, mit denen man spricht. „Die AKP versucht alles, um uns den Sieg noch zu nehmen“, sagte eine Frau aus dem Bezirksverband in Kücükçekmece, einem Stadtteil, den die CHP erstmals gewinnen konnte, seitdem die AKP an der Macht ist. „Aber wir passen auf. Wir lassen keine Manipulation mehr zu“.
CHP-Mitglieder bewachen die Wahlunterlagen
Praktisch sieht das so aus, dass die CHP ihre Mitglieder dazu aufgerufen hat, Tag und Nacht das jeweilige Gebäude zu bewachen, in dem die Wahlunterlagen des Bezirks gesammelt wurden, und so zu verhindern, dass im Nachhinein Wahlzettel ausgetauscht werden. Überall sind CHP-Mitglieder diesem Aufruf gefolgt. Etliche haben Schlafsäcke mitgebracht und nächtigen vor den Gebäuden. Letzte Nacht schlug eine Anwältin über Twitter Alarm, dass in Beykoz, einem Vorort am Bosporus zu wenige Personen seien. Kurz darauf konnte sie melden, dass genug Menschen ihrem Aufruf nachgekommen sind.
Zum neuen Selbstbewusstsein der CHP und anderer Oppositioneller in Istanbul trägt auch das souveräne Auftreten von Ekrem İmamoğlu bei. „Ich kannte ihn vorher gar nicht“, erzählt ein altgedienter Linker, der den Wahlkampf von Alper Taş in Beyoğlu unterstützt hat, „aber der Auftritt von İmamoğlu in der Wahlnacht war überzeugend“. Immer wieder trat İmamoğlu vor die Presse um an die Wahlkommission zu appellieren, keine Manipulationen zuzulassen. „Hätte er das nicht gemacht, wäre er schon weg vom Fenster“.
Auch bei seinem Antrittsbesuch in Ankara am Dienstag gab İmamoğlu sich kämpferisch. Während sein Gegenkandidat von der AKP, Binali Yıldırım, schweigt, beschwerte İmamoğlu sich öffentlich, dass AKP-Angehörige der Stadtregierung bereits dabei sind, Dokumente zu vernichten. „Wir müssen das so schnell wie möglich beenden“, sagte er. „Die Wahlkommission muss nun zügig zu einer Entscheidung kommen“.
Wann die verkündet wird, ist allerdings noch unklar. Bis Donnerstag sollen die regionalen Wahlkommissionen vor Ort in den Stadtteilen, in denen dem Einspruch einer Partei stattgegeben wurde, nachzählen. Dann sollen alle Ergebnisse an die Hohe Wahlkommission in Ankara weitergeleitet werden. Bis zum 10. April, heißt es, will sie dann ein Ergebnis verkünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!