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Nach dem Tod dreier KommandantenHamas droht mit Vergeltung

Israels Regierungschef Netanjahu will erneut Reservisten mobilisieren. Palästinenserpräsident Abbas trifft sich mit Hamas-Chef Mashal.

Die Beerdigung des getöteten Hamas-Kommandanten Raed al-Attar. Bild: dpa

JERUSALEM taz | Die palästinensischen Hamas-Milizen der Assedin-al-Kassam-Brigaden wollen den Tod dreier führender Kommandaten rächen. Die Männer waren in der Nacht zu Donnerstag bei einer gezielten Hinrichtung durch Israels Luftwaffe ums Leben gekommen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu lobte die Armee und die Nachrichtendienste für die „gelungene Operation“.

Das Sicherheitskabinett stimmte am Nachmittag der erneuten Mobilisierung von 10.000 Reservisten zu. Verteidigungsminister Mosche Jaalon kündigte an, die Hamas „überall und zu jeder Zeit“ zu jagen.

In der Nacht zuvor hatte die Luftwaffe den Versuch unternommen, Mohammed Deif, den Chef der Assedin al-Kassam, zu exekutieren. Dabei starben Deifs Frau und zwei seiner Kinder. Ob der Chef der Hamas-Milizen selbst den Tötungsversuch überlebte, blieb unklar. Der israelische Rundfunk berichtete über drei Palästinenser, die im Gazastreifen unter dem Verdacht der Kollaboration mit Israel hingerichtet worden seien. Sieben weitere Männer seien von der Hamas verhaftet worden.

Die Gefechte zwischen Israel und radikalen Palästinensern erreichten nach dem Anschlag auf Deif eine neue Intensität. Nahezu 200 Raketen, so zählte die Armee, seien innerhalb von eineinhalb Tagen auf Israel abgeschossen worden. Die Luftwaffe reagierte mit Dutzenden Angriffen, bei denen es bis Donnerstag Nachmittag erneut 25 Tote gab.

Trinkwasser im Gazastreifen ist knapp

Für die Situation in der Kriegszone erschwerend ist die Tatsache, dass Frischwasser nicht mehr ausreichend zur Verfügung steht, weil die Infrastruktur durch israelische Angriffe schwer beschädigt wurde. Amira Hass von der liberalen Zeitung Haaretz berichtet über die Ausbreitung von Hautkrankheiten und Infektionen vor allem in den Schulen, in die sich die ausgebombten Familien flüchteten.

Die Exekution der drei Hamas-Kommandanten gilt in Israel als großer Erfolg. Mohammed Abu Schamallah und Raed al-Attar sollen an der Entführung des Soldaten Gilad Schalit beteiligt gewesen sein, den die Hamas über fünf Jahre lang im Gazastreifen gefangenhielt. Beide gehören offenbar zu den obersten Kommandoreihen der Assedin al-Kassam. Sieben weitere Menschen starben bei den Luftangriffen. Ähnlich wie die Familie Mohammed Deifs werden die versehentlich getöteten Zivilisten in Israel als „Kollateralschäden“ betrachtet. Die Tatsache, dass gezielte Hinrichtungen völkerrechtswidrig sind, spielt in der israelischen Öffentlichkeit keine Rolle.

Die moderate politische Palästinenserführung der Fatah setzt unterdessen die Bemühungen um eine diplomatische Lösung fort. Präsident Mahmud Abbas reiste gestern nach Doha, um sich mit dem Chef des Hamas-Politbüros, Khaled Mashal, zu beraten. Obschon bei den Gesprächen erklärtermaßen eine „gute Atmosphäre“ herrschte, gab sich Mashal weiterhin gestern unnachgiebig und kündigte an, nicht an den Verhandlungstisch zurückzukehren, „bis Israel unseren Forderungen nachgibt“.

Netanjahu sieht Chance für Verhandlungen

Regierungschef Netanjahu stellte im Verlauf einer Pressekonferenz am Mittwochabend einen „neuen politischen Horizont“ in Aussicht. Im Anschluß an die Gefechte werde er sich dafür einsetzen, die Verhandlungen mit Abbas und seiner „palästinensischen Regierung, die dem Frieden mit Israel verpflichtet ist“, fortzusetzen. Die Bedingungen für ein Gelingen des Dialogs über eine Zweistaatenlösung hätten sich verändert, meine Netanjahu. „Es ist heute viel leichter für uns, unsere Sicherheitsbedürfnisse zu erklären.“

Außerdem könnten die regionalen Veränderungen „neue Möglichkeiten schaffen“. Die sozialdemokratische Abgeordnete Scheli Jechimowitsch begrüßte den veränderten Ton des Regierungschefs. „Hier ist bei jemandem der Groschen gefallen“, meinte die Oppositionspolitikerin. Abbas sei ein „Mann des Dialogs“ und müsse von Israel gestärkt werden.

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18 Kommentare

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  • Hamas zeigt, wie sie Rechtsprechung versteht: Liquidierung ohne Prozess.

     

    Und die taz schweigt dazu ... jedenfalls habe ich heute morgen in der Druckausgabe dazu nichts gelesen.

  • Die Terrorisierung der palästinensischen Zivilbevölkerung zeigt sich darin, dass mal eben achtzehn (18) von ihnen wegen angeblicher Kollaboration mit dem "Feind" Israel hingerichtet wurden. Ohne Prozess, versteht sich.

     

    Kommentar bearbeitet.

    • @Fiete Strandläufer:

      Insgesamt waren es 21 Männer.

      3 wurden gestern hingerichtet, heute morgen 11 auf der Polizeistation in Gaza und weitere 7 vor aller Augen auf dem Marktplatz als Abschreckung.

       

      Hamas profiliert sich immer mehr als Ableger der IS-Milizen.

  • "Es wäre mal Zeit, die Forderungen der Hamas für eine dauerhafte Waffenruhe"

    Diese Forderungen gibt es nicht!

    • @Werner W.:

      aber ja gibt es die, auch in diesem blatt nachzulesen!

      sagen Sie bescheid, wenn Sie das mit der suchfunktion nicht hinkriegen. dann helfe ich Ihnen.

      • @christine rölke-sommer:

        Die Hamas leistet nicht Widerstand gegen die Blockade, sondern gegen Israel an sich. Den Staat Israel (egal in welchen Grenzen) und gegen die Bürger Israels, vor allem die, die jüd. Glaubens sind.

        • @Tachles:

          wenn Sie von zionismusgeschichte ein klein wenig ahnung hätten, dann wüßten auch Sie, wogegen palästinenserinnen widerstand leisten.

          im übrigen hat Sari Nusseibeh (glaub ich) mal vorgeschlagen, das problem durch konversion aller palästinenserinnen zum judentum zu lösen. für muslimas theologisch kein problem, christinnen hätten da schon eher eins. aber ... auch davon wollte man bei zionistens nix wissen.

          • @christine rölke-sommer:

            Man muss also ein Spezialist in Sachen Zionismus sein, um zu wissen, warum die Hamas-Elite in Qatar sitzt und es sich gutgehen lässt, während das Fußvolk für die Aktivisten als Schultzschild bei Vergeltungsmaßnahmen nach Angriffen auf die unschuldige israelischen Zivilbevölkerung herhalten muss? Also, das ist schon ganz schön weit hergeholt und geht völlig am Thema vorbei.

            • @Tachles:

              ist Netanjahu etwa in der Bodenoffensive mit einmaschiert ???

            • @Tachles:

              spezialist müssen Sie nicht sein, aber ein klein wenig ahnung tät reichen, um die frage zu beantworten, wogegen der widerstand sich richtet.

              und bei gelegenheit könnten Sie mal erklären, was Sie unter elite verstehen.

              ich kenne nur café élite - den trinke ich manchmal, wenn das heimweh mich plagt.

              • @christine rölke-sommer:

                 

                Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Frau Knaul zitiert aus dem letzten Bericht von Amira Hass aus der Haaretz zur Situation in Gaza. Amira Hass überschreibt ihren jüngsten Bericht: "Grünes Licht aus Europa, Gaza zu vernichten und zu pulverisieren". Und weiter: "In its ongoing silence, official Germany is collaborating with Israel on its journey of destruction and death, waged against the Palestinian people in Gaza." Es gibt zum Glück noch andere Stimmen als die eines Journalismus, der die an den Juden begangenen Völkermord mit dem Schweigen zum gegenwärtigen Schicksal der Palästinenser wiedergutzumachen versucht. Da gibt´s nichts wiedergutzumachen. Den Palästinensern in Gaza, die nichts mehr zu verlieren haben, die gnadenlose Bombardierung durch Israel als eigene Schuld in die Schuhe zu schieben, ist die Krönung aller Wiedergutmachungs-Perfidie. Wir lassen´s eben immer an den Schwächeren aus, in Deutschland an den "Zigeunern", im Nahen Osten an den Palästinensern.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Frau Knaul spricht von "versehentlich getöteten Zivilisten". Das ist falsch. Der Tod der Zivilisten wurde billigend in Kauf genommen. Das ist etwas anderes. Wenn Ihr, liebe Taz, schon nicht zwischen Kommentar und Nachricht unterscheiden wollt, dann lasst bitte solche Euphemismen weg!

  • "Die Tatsache, dass gezielte Hinrichtungen völkerrechtswidrig sind, "

    Das ist nicht richtig.

    Es handelt sich hier nicht um Völkerrecht sondern um Kriegsrecht. Und die Bekämpfung von Führungseinrichtungen und militärischen Führungspersonen ist eine ganz normale und legitime Form der Kriegsführung.

    • @Werner W.:

      aber sicher geht es hier um fragen des humanitären kriegsvölkerrechts.

      erst mal aber: es ist ein zeichen allgemeiner verblödung, wenn man die rede von 'gezielter hinrichtung' übernimmt - oder die von pin-point. denn was, bitte schön, ist an fünf (oder mehr) GBU28 bomben auf ein (1) gazanisches wohnhaus denn noch 'gezielte hinrichtung' oder auch 'pin-point' von wem oder was auch immer?! nachdem deren wirkung im ländlichen raum auf hochzeitsgesellschaften getestet wurde, guckt man nun, wie die sich im urbanen raum auf kinderspielplätzen machen.

      das ist das eine.

      das andere ist: eine hinrichtun, wenn man denn von der todesstrafe nicht lassen will, setzt ein verfahren voraus, eines, in dem mensch erfährt, wessen er angeklagt wird und sich gegen die anklage verteidigen kann. daran fehlt es bei dem, was man früher noch etwas ehrlicher pre-emptive execution nannte, völlig. weshalb solche aktionen in frieden wie krieg völkerrechtswidrig sind - punkt.

      ach ja, bevor ich's vergesse: gezielte hinrichtung mittels GBU28 kann man auch in süd-tel-aviv oder im frankfurter nordend betreiben...

      • @christine rölke-sommer:

        Na hoffen wir es für Sie nicht, am Mittwoch in den Kommentaren zu "krieg in Gaza wieder voll entbrannt" haben Sie Israel genau das vorgeworfen. (gezielte Hinrichtungen)

        schon vergessen?

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    "Die Tatsache, dass gezielte Hinrichtungen völkerrechtswidrig sind, spielt in der israelischen Öffentlichkeit keine Rolle."

     

    Ist ja wohl eion Witz, das zu schreiben. Als ob das hier eine Rolle spielen würde, wenn Israel Völkerrechtsverbrechen begeht.

     

    Aber wenn wir das mal ansprechen, macht sich irgendeiner in der Redaktion Deutscher Medien darüber Gedanken, was es heißt, "Sicherheitsbedürfnisse" bei der Ausübung von Verbrechen anzumelden und zu "erklären"?

     

    Wohl nicht, wenn Netanjahu keine Probleme hat, seine Verbrechen zu "erklären" !!!

     

    Es wäre mal Zeit, die Forderungen der Hamas für eine dauerhafte Waffenruhe den eigenen Lesern nicht mehr zu verheimlichen, und diese auch vernünflig ohne den bisher dümmlichen Spott darüber zu diskutieren. Es sind nur Menschenrechte und Schutz vor israelischer Gewalt, die gefordert werden!

     

    Auch wenn propagandistische Reporter immer erklären wollen, dass es "extremistisch, radikal" sei, nach 40 Jahren Freiheitsraub in einer Gewaltbesatzung um seine Freiheit zu kämpfen, dass die Palästinenser selbst schuld seien, wenn Israel Gewalt zur Untersdrückung paläst. Menschenrechte anwenden müsse, die Hamas freidensverhandlungen ablehne, weil sie um die Eroberung Israels kämpfen soll (irrsinniger geht es kaum), es Selbstverteidigung sei, wenn man gegen den Kampf um Menschenrechte mit 2000 Ermordungen honoriert.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @1393 (Profil gelöscht):

      Die TAZ ist nicht geeignet, wenn man wirklich etwas über Hintergründe des Gazakrieges erfahren will. Frau Knaul will die HAMAS weg, würde ich im hier inzwischen vorherrschenden BILD-Stil zusammenfassen. Ich zahl lieber für die liberale für die Online-Ausgabe israelische HAARETZ. Da erfährt man noch Zusammenhänge.