Nach dem Terroranschlag in Kaschmir: Trauer und Wut in Indien
Indien sucht nach Möglichkeiten der Vergeltung gegen Pakistan. Das weist jedoch jede Verantwortung für den Anschlag weit von sich.
Indische Oppositionsparteien sehen in dem Terroranschlag, bei dem am Donnerstagnachmittag mindestens 41 Angehörige der paramilitärischen Polizeitruppe CRPF getötet und mehrere Dutzend verletzt wurden, aber auch ein schweres Versagen von Indiens Geheimdienstes.
Ein Selbstmordattentäter hatte sich mit seinem Fahrzeug im indischen Teil Kaschmirs auf der Verbindungsstraße zwischen Srinagar und Jammur in einen Konvoi aus 78 Polizeifahrzeugen gedrängt und dann 350 Kilo Sprengstoff gezündet.
Indiens Premierminister Narendra Modi steht jetzt im Wahljahr unter besonderem Druck. Seine hindunationalistische Partei BJP, die zu Oppositionszeiten stets scharfe Worte gegenüber Pakistan fand, hat bei den letzten regionalen Wahlen an Zustimmung verloren.
Modi kündigt Konsequenzen an
Modi kündigte jetzt umgehend Konsequenzen an. Ein Land, das Terroristen Zuflucht gäbe, sei zum Synonym für Terror geworden, sagte er auf einer Kundgebung in Maharashtra. „Egal, wo sich die Attentäter verstecken, sie können ihrer Bestrafung nicht entgehen.“
Als symbolische Sofortmaßnahme strich Indien seinem Nachbarn Pakistan die Zollpräferenzen, was jedoch wegen des geringen bilateralen Handelsvolumens kaum Auswirkungen haben wird.
Narendra Modi, Premierminister
Indiens Regierung will Pakistan jetzt auch diplomatisch isolieren. Doch die Volksrepublik China, eine der engsten Verbündeten Pakistans, wies dies bereits zurück.
Pakistans Regierung verurteilte den Anschlag ebenfalls und nannte ihn in einer Erklärung des Außenministeriums „sehr besorgniserregend“. Gleichzeitig wies Islamabad alle Vorwürfe zurück, dass der pakistanische Staat in Verbindung mit der Tat stehe. Pakistanische Politiker sehen Modis scharfe Rhetorik vor allem als Wahlkampfmanöver.
Die islamistische Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed ist in Pakistan seit 2002 offiziell verboten, doch hält Indien das Verbot für wenig wirksam. Das Ziel der Organisation ist es, den Anschluss des von Indien kontrollierten Teils von Kaschmir an Pakistan zu erzwingen.
2016 stürmten mutmaßliche Kämpfer der Organisation eine indische Armeebasis und töteten 19 Soldaten. Als Antwort will die indische Armee einen Militärschlag im pakistanischen Teil Kaschmirs durchgeführt haben, Pakistan hat das heruntergespielt.
Jetzt kursierte im Internet ein Video, das den mutmaßlichen Attentäter zeigen und in Verbindung mit der Terrorgruppe stehen soll.
Wachsende Unzufriedenheit in Kaschmir
Im indischen Teil Kaschmirs wächst seit einiger Zeit der Unmut unter der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung. Seit der dortigen Auflösung der Regierungskoalition 2018 wird die Region direkt von der Zentralregierung in Delhi regiert.
Beobachtern zufolge radikalisieren sich immer mehr kaschmirische Jugendliche, nicht zuletzt wegen des harten Vorgehens der indischen Sicherheitskräfte.
Die Region Kaschmir wird von drei Ländern beansprucht: Indien, Pakistan und China. In Jammu und Kaschmir, wie der indische Teil offiziell heißt, sind derzeit mindestens 250.000 Soldaten stationiert. Seit der Eskalation des Konflikts 1989 sind in der Region Schätzungen zufolge rund 70.000 Menschen getötet worden.
Schon zwei Mal haben die beiden Atommächte Indien und Pakistan um die Region Krieg geführt. Pakistan hat inzwischen offiziell eine Erstschlagsdoktrin. Islamabad behält sich demnach also vor, auf einen konventionellen indischen Angriff etwa auf ein „Terrorcamp“ innerhalb Pakistans mit Atomwaffen zu antworten. Jede militärische Vergeltung Indiens wäre also hochriskant.
2016 war es deshalb zwischen beiden Staaten umstritten, ob Indien im pakistanisch-kontrollierten Teil Kaschmirs überhaupt einen militärischen Vergeltungsschlag durchgeführt hat. Delhi insistierte, weil es Stärke demonstrieren und zeigen wollte, dass Taten auf Worte folgen. Islamabad hingegen wollte von einem indischen Schlag nichts wissen. Zum einen, um Indien vorzuführen, zum anderen wäre das Eingeständnis eines unbeantworteten indischen Angriffs als eigene Schwäche gewertet worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen