Nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz: Neuer Machtkampf in der AfD

Für den „Flügel“ ist der Ausschluss ihres Anführers eine Kampfansage. Wer politisch überlebt und wie weit rechts die Partei am Ende steht, ist offen.

AfD-Mann Kalbitz hält sich Hand an den Kopf

Das Ende einer Parteimitgliedschaft: AfD jetzt ohne Andreas Kalbitz Foto: Patrick Pleul/dpa

Stephan Brandner war einer der Ersten, die am frühen Freitagabend eine Kampfansage machten. „7:5:1“, twitterte Brandner, der stellvertretender AfD-Vorsitzender und Bundestagstagsabgeordneter aus Thüringen ist. „Ich meine, wir brauchen nun dringend und kurzfristig einen Bundesparteitag, in denen jedes BuVo-Mitglied seine Gründe für die Entscheidung darlegen kann.“ Und er fügte hinzu, er sei „übrigens bei den Fünfen“ gewesen.

Brandner hat dagegen gestimmt, Andreas Kalbitz, bislang Landes- und Fraktionschef in Brandenburg, neben Björn Höcke zweiter „Flügel“-Anführer und wie Brandner Mitglied im Bundesvorstand, die AfD-Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Genau das aber hatte der Bundesvorstand der Partei, kurz BuVo genannt, am frühen Freitagabend nach kontroverser Debatte auf Antrag von Parteichef Jörg Meuthen mit knapper Mehrheit von sieben Stimmen beschlossen. Ein Paukenschlag. Und ein Affront für die Rechtsaußen in der Partei.

Der formale Grund: Kalbitz hatte bei seinem Parteieintritt 2013 verschwiegen, dass er Mitglied in der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) und auch bei den damals vom Verfassungsschutz beobachteten „Republikanern“ gewesen ist. Während er die Mitgliedschaft bei den Reps seit langem zugibt, sie findet sich sogar auf der offiziellen Website des Brandenburger Landtags, streitet Kalbitz die HDJ-Mitgliedschaft weiter ab. Dem Verfassungsschutz aber liegt nach Angaben der Behörden ein Mitgliedseintrag der „Familie Andreas Kalbitz“ vor.

Tweet als Drohung an Meuthen

Brandners Tweet kann man durchaus als Drohung an Parteichef Meuthen und die anderen verstehen, die für Kalbitz' Rauswurf stimmten – darunter nach Informationen der taz auch die stellvertretende Parteichefin Beatrix von Storch und alle Beisitzer mit Ausnahme des bayerischen Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka. Denn wer sich rechtfertigen soll, dem drohen meist auch Konsequenzen.

Und Brandner blieb nicht allein: Die Landesvorsitzenden aus Sachsen und Sachsen-Anhalt sprachen sich umgehend öffentlich für Kalbitz' Verbleib in der AfD aus, Torben Braga, Landtagsabgeordneter in Thüringen und Höcke-Vertrauter, beurteilte die Entscheidung als „unfassbar“ und „nicht nachvollziehbar“, und Thorsten Weiß, Abgeordneter in Berlin, der jüngst von Höcke noch ein „Flügel“-Abzeichen für besonderen Einsatz verliehen bekommen hatte, sprach von „Kamikaze Meuthen“ und drohte ganz offen: „Wir sehen uns auf dem nächsten Bundesparteitag!“ Und im Internet kursiert bereits ein Aufruf, Meuthen nicht nur abzuwählen, sondern wegen parteischädigenden Verhaltens gleich aus der Partei zu schmeißen.

Nun wird es in Corona-Zeiten sobald nicht zu einem Parteitag kommen, doch in der AfD ist erneut der Machtkampf ausgebrochen. Wie er ausgeht, ist offen. Meuthen hat zwar eine Schlacht gewonnen und das auch nur knapp, den Sieg davongetragen aber hat noch lange nicht.

Der „Flügel“, der offiziell zwar aufgelöst ist, als Netzwerk aber weiter besteht und die ostdeutschen Landesverbände weitgehend dominiert, versteht den Rauswurf Kalbitz' als Kampfansage – und so ist er von Meuthen wohl auch gemeint. Meuthen hat sich zwar vom „Flügel“ ins Amt wählen lassen, sich ihm angedient und lange mit ihm paktiert, auch hat er noch vor einigen Monaten abgestritten, dass Kalbitz ein Rechtsextremist sei. So hat er nicht nur seinen Job an der Spitze der AfD gesichert, sondern auch die Einheit der Partei – und damit wiederum zweistellige Wahlergebnisse möglich gemacht. In den ostdeutschen Bundesländern hat bei den Landtagswahlen im vergangenen Herbst fast jeder Vierte für die AfD gestimmt – in Brandenburg waren es, mit Kalbitz an der Spitze, 23,5 Prozent der WählerInnen.

Verfassungsschutz stuft Kalbitz als Rechtsextremisten ein

Doch zuletzt reichte es Meuthen, weil der „Flügel“ immer mächtiger wurde, gemäßigtere Parteifunktionäre aus dem Westen ihm Druck machten, vor allem aber wohl wegen des Bundesamts für Verfassungsschutz. Dieses hat das Netzwerk als erwiesen rechtsextrem und volles Beobachtungsobjekt eingestuft, Kalbitz und Höcke als „Rechtsextremisten“. Und damit schwebt über der gesamten AfD die Drohung, auch zumindest als „Verdachtsfall“ eingestuft zu werden. Was möglicherweise zur Abwendung von eher gemäßigteren WählerInnen besonders im bevölkerungsreichen Westen und zum Austritt von BeamtInnen führen würde, die um ihre Jobs und Pensionen bangen. Einige Abgeordnete haben der Partei bereits den Rücken gekehrt. Das Ziel, Volkspartei zu werden, könnte man abhaken. Deshalb hat Meuthen im Bundesvorstand zunächst durchgesetzt, dass sich der „Flügel“ auflösen muss, jetzt hat er eine Mehrheit für Kalbitz' Rauschmiss hinter sich gebracht.

Nun ist die rechtsextreme Biografie von Kalbitz seit langem bekannt, Recherchen von antifaschistischen Gruppen und JournalistInnen haben immer wieder neue Details veröffentlicht, darunter auch die taz, die gemeinsam mit anderen das Video publik machte, das Kalbitz' Anwesenheit bei einem HDJ-Zeltlager zeigt. Meuthen und Co. haben sich damit lange arrangiert; Kalbitz war erfolgreich und dazu ein mächtiger Strippenzieher, der mit dem „Flügel“ im Rücken Mehrheiten organisieren konnte und seinen Landesverband auf Linie gebracht hatte – wozu die Gegenseite in der Partei bislang nicht in der Lage war.

Es waren also wohl weniger neue Erkenntnisse oder Einsichten, die Meuthen jetzt zu seinem Vorstoß gegen Kalbitz brachten, als der Druck des Verfassungsschutzes und der Hebel, dem die Behörde ihm in die Hand gegeben hatte: Die bei Parteieintritt verschwiegene HDJ-Mitgliedschaft bot laut Satzung die Möglichkeit, Kalbitz mit einfacher Mehrheit im Bundesvorstand die Parteimitgliedschaft sofort zu entziehen. Für ein Parteiausschlussverfahren, das langwierig und im Ausgang ungewiss ist, hätte die Mehrheit im Bundesvorstand nicht gereicht. Und Meuthen weiß natürlich auch, dass zwei seiner VorgängerInnen, Bernd Lucke und Frauke Petry, mit dem Versuch gescheitert sind, Höcke aus der Partei auszuschließen, am Ende im parteiinternen Machtkampf unterlagen und mit Splitterparteien politisch scheiterten.

Er habe keinen Anlass, nun auch gegen Höcke vorzugehen, sagte Meuthen denn auch am Samstag in verschiedenen Interviews und zog sich bei der Begründung von Kalbitz' Rausschmiss stets auf die formale Ebene zurück. Und dennoch sollte man die Bedeutung der Causa Kalbitz nicht unterschätzen: Meuthen hat den einflussreichsten Mann des „Flügels“ gestürzt, der zudem neben Höcke dessen größte Symbolfigur ist. Allerdings bleibt auch hier ein gehöriges Restrisiko: Sollte Kalbitz den Rausschmiss erfolgreich anfechten, was er versuchen will, kann der Parteichef abtreten.

Alexander Gauland, der als Ehrenvorsitzender im Bundesvorstand zwar kein Stimmrecht, aber in der AfD weiterhin viel Einfluss hat, hat sich am Freitag schon einmal offen gegen Meuthen gestellt. Der Beschluss sei „falsch und gefährlich für die Partei“, sagte er, nachdem er die Sitzung verlassen hatte. Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla und Alice Weidel, Vizechefin der Partei und Vorsitzende der Bundestagsfraktion, haben beide gegen den Antrag votiert. Während sich Chrupalla noch nicht öffentlich geäußert hat, hat Weidel rein formal argumentiert – vor einer Entscheidung sei eine weitere juristische Prüfung des Sachverhalt vonnöten gewesen. So hieß es auch in dem Antrag, den sie und Chrupalla im Bundesvorstand eingebracht hatten. Zu dessen Abstimmung aber kam es nicht mehr.

Chrupalla, der aus Sachsen kommt, gilt ohnehin als flügelkompatibel, Weidel hat zuletzt eine Art Deal mit dem Netzwerk gemacht. Deshalb ist sie auf dem letzten Parteitag auch als erste AfD-Vize ohne Gegenkandidaten gewählt worden. Wo Weidel inhaltlich steht, ist inzwischen schwer zu sagen; womöglich will sie jetzt erst mal abwarten, wie sich die Machtverhältnisse in der Partei entwickeln. Allerdings steht sie zu Meuthen auch in einer besonderen Konkurrenz: Dieser hat Ambitionen, wie man hört, bei der kommenden Bundestagswahl als Spitzenkandidat anzutreten und Gauland als Fraktionsvorsitzenden zu beerben. Auch Weidel will wieder kandidieren – doch ein Spitzenteam aus zwei Baden-WürttembergerInnen, denen parteiintern weiterhin ein wirtschaftsliberales Label anhaftet, scheint ausgeschlossen zu sein.

Während die anderen Parteien versuchen, Wege aus der Coronakrise zu finden, beschäftigt sich die AfD – die in den Umfragen ohnehin eingebrochen ist – jetzt also wohl erst einmal mit sich selbst. Ob Meuthen den Machtkampf politisch überlebt oder ob er wie Lucke und Petry endet, ist derzeit schwer abschätzbar. Das Gleiche gilt für die Frage, wie extrem weit rechts die AfD als Gesamtpartei am Ende steht. Auch eine Spaltung samt Entstehung einer „Lega Ost“ scheint nicht mehr ausgeschlossen. Genau dieses Szenario hatte Meuthen jüngst in die Diskussion geworfen – war dafür aber vom Bundesvorstand noch abgestraft worden.

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