Nach dem #MeToo-Fall an der Volksbühne: Dämmerung der Patriarchen

Wird jetzt über neue Leitungsstrukturen an den Theatern nachgedacht? Auf jeden Fall hat das bisherige Modell des allmächtigen Intendanten ausgedient.

Ein regenbogen über der Volksbühne.

Nur einer der Orte, wo Strukturfragen aufgeworfen werden: Volksbühne in Berlin Foto: David Baltzer/Zenit

Erinnert sich jemand noch an die Zeiten, in denen der Intendant – weiß, deutsch, männlich – eine Kultfigur war? Ein populärer Entertainer wie Claus Peymann, der mit seinem Lieblingsdichter Hosen kaufen ging, das Stuttgarter Publikum mit seiner Geldsammlung für die Zahnbehandlung von RAF-Häftlingen provozierte und in Wien bis heute dafür geliebt wird, die Österreicher 1988 mit ihrer verdrängten Nazivergangenheit konfrontiert zu haben?

Oder ein chronischer Dissident wie Frank Castorf, der die Berliner Volksbühne über Jahrzehnte zum Ort des Widerstands „Ost“ gegen den vermeintlichen Sieger der Geschichte „West“ erklärte, sich ironisch ein Stalinporträt ins Intendantenzimmer hängte und bis heute in allerdings zunehmend umstrittenen Interviews genüsslich politische Unkorrektheit zelebriert?

Damals erschien der Widerspruch zwischen auf der Bühne kritisierten sozialen Verhältnissen und hinter der Bühne praktizierter Hierarchie allenfalls originell. Solange das Theater aufregende, streitbare Kunst präsentierte und nicht komplett pleiteging, waren Strukturfragen sekundär.

Diese Zeiten scheinen nun endgültig vorbei: Mit dem Rücktritt des letzten Volksbühnen-Intendanten Klaus Dörr nach Sexismus- und Machtmissbrauchsvorwürfen, aber auch Skandalen wie um Matthias Hartmann, der als Burgtheaterdirektor (2009–2014) ein „Klima der Angst“ erzeugt haben soll, oder um Peter Spuhler, dessen Mit­ar­bei­te­r*in­nen am Badischen Staatstheater Karlsruhe sich über „Kontrollzwang, beständiges Misstrauen, cholerische Ausfälle“ beschwerten, steht nun der Intendantenjob selbst unter Verdacht. Ist er ein Relikt aus patriarchalen Zeiten (nach wie vor sind nur 22 Prozent des Bühnenleitungspersonals weiblich), gar aus feudalen, wie Kri­ti­ke­r*in­nen gerne behaupten? Lädt der Posten zum Missbrauch geradezu ein?

„Ein Intendant steckt heute in der Falle zwischen präsi­dia­len (Vertretung des Theaters nach außen), strategischen (Zukunftssicherung) und operativen Aufgaben (Personal, Finanzen, Bau und Erneuerung, Vertragsverhandlungen, Sitzungen) und sollte sich eigentlich um die programmatische und künstlerische Entwicklung des Theaters kümmern“, umreißt Thomas Schmidt, Professor für Theater- und Orchestermanagement in Frankfurt, in seiner Studie „Thea­ter, Krise und Reform“ (2017) das Aufgabenprofil.

Künstlerische Selbstverwirklichung

Das klingt nach gehobenem Management statt künstlerischer Selbstverwirklichung – aber sehr wohl nach einem Beruf, für den man, wenn man ihn ernst nimmt, am besten gleich ins Theater einzieht. Denn Zeit für anderes wird kaum bleiben.

Ein Raunen ging vor zehn Jahren durch die Szene, als Karin Beier, heute Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, öffentlich bekundete, dass sie das Thea­ter täglich um 16.30 Uhr verlasse, um noch etwas Zeit mit ihrer damals vierjährigen Tochter verbringen zu können. So etwas hatte noch kein männlicher Kollege vor ihr erzählt.

Zugleich werden am Theater, wo Kunst und Leben nahtlos ineinander übergehen, aus Arbeits- oft Privatbeziehungen. Muss nicht, kann aber zum Problem werden: Am Schauspiel Köln etwa geriet Intendant Stefan Bachmann 2018 mit Teilen des Ensembles aneinander, als er seine Frau, die Schauspielerin Melanie Kretschmann, gegen die Mobbingvorwürfe von Mit­ar­bei­te­r*in­nen verteidigte.

Neoliberale Hochleistungsbetriebe

Schmidts Jobbeschreibung zeigt dennoch recht gut, dass von Feudalismus kaum die Rede sein kann. Oder nur insofern, als die Theater den In­ten­dan­t*in­nen und ihren Teams auf begrenzte Zeit (Intendant*innen haben in der Regel Fünfjahresverträge) überantwortet und auch schnell wieder entzogen werden können. Berufen werden sie, je nach Träger, von Kulturministerinnen oder Oberbürgermeistern, die wiederum Findungskommissionen einsetzen können, aber nicht müssen. Transparente ­Berufungsprozesse, womöglich mit Assessmentprüfungen, sind die Ausnahme.

Die Ensemble- und Repertoirebühnen im deutschsprachigen Raum sind zumindest im künstlerischen Bereich neoliberal strukturierte Hochleistungsbetriebe, von der Größe her durchaus vergleichbar mit städtischen Betrieben wie Krankenhäusern, über deren ­Effektivität die traditionsgemütlich ­erscheinenden „Gewerke“ (Handwerkstätten für ­Bühnenbildbau und Kostüme) nicht hinwegtäuschen können.

Mit zehn bis zwanzig Premieren pro Jahr, zusätzlichen Programmschienen, Festivals, internationalen Koproduktionen kämpften diese Häuser bis zur Pandemie um ihr Publikum, einen überregionalen Ruf und um den Eigenfinanzierungsanteil, der sich im deutschland­weiten Schnitt auf rund 17,7 Prozent beläuft.

In den Burnout treiben

Es ist noch nicht lange her, dass In­ten­dan­t*in­nen die Zahl der Neuproduktionen Jahr um Jahr in die Höhe jagten, für eine regelrechte Überproduktion sorgten und ganze Hausbelegschaften in den Burnout trieben. Allen voran die Schau­spie­ler*innen, die nicht nur oft familienunfreundliche Arbeitszeiten und Anwesenheitspflichten, sondern, im Gegensatz zu den nach Tarif entlohnten Kol­le­g*in­nen von der Technik, auch noch häufig die schlechter bezahlten 1- bis 2-Jahres-Verträge haben (die Mindestgage beträgt 1.850 Euro brutto).

Sie stehen wiederum in Kontrast zu teilweise exorbitanten Intendantengagen. Wobei Claus Peymann, von dem es während seiner Zeit am Berliner Ensemble unwidersprochen hieß, dass er über 200.000 Euro verdiente, auf die Frage, ob das denn an­gemessen sei, antwortete: „Ach, es gibt so wenige Leute, die Theater leiten können. Wissen Sie was: Ich sollte das Doppelte verlangen!“

Schlechte Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung und dann auch noch hinter der Bühne angeschrien, angebaggert oder gegeneinander ausgespielt werden? Lange Zeit gehörte es zum Berufsethos, das im Namen der Kunst auszuhalten, und vielleicht fiel es leichter, wenn Intendanten extrem erfolgreiche Künstler waren, die einen, und sei es mit fragwürdigen Mitteln, zum Glänzen brachten. Spätestens mit der #MeToo-Kampagne war auch im deutschsprachigen Theaterraum das Fass voll.

Emanzipatorische Kunstwege

In Neugründungen wie dem ensemble-netzwerk oder dem feministischen Verein pro Quote organisieren sich seither die künstlerischen Mit­ar­bei­ter*in­nen am Stadttheater neu. Sie gucken sich bei PoCs und queeren Ak­ti­vis­t*in­nen ab, wie man Kampagnen gegen den Mainstream der Privilegierten fährt und sich intersektional solidarisiert. Auch deshalb dürfte es für In­ten­dan­t*in­nen immer schwieriger werden, mit herkömmlichen Methoden „durchzuregieren“ – selbst wenn sie mit ihren Häusern betont emanzipatorische Kunstwege eingeschlagen haben.

Viele Leitungskräfte indessen wollen das auch gar nicht mehr. Die neue Dortmunder Intendantin Julia Wissert, Jahrgang 1984, meinte auf die Frage, wie sie das Stadttheater verändern wolle: „Ich glaube nicht, dass irgend etwas allein mit Goodwill zu lösen ist. Aber eine Kollegin hat einmal den schönen Satz gesagt, dass die Königin auch die Demokratie einführen kann.“ Ob ihr das schon gelungen ist, wird man wohl erst nach Corona erfahren.

Auch ohne strukturreformistischen Einheitsplan entwickeln sich neue Modelle: Immer häufiger treten Inten­dant*in­nen, beispielsweise in Zürich oder Basel, bewusst als Zweier- oder Dreierteams an. Am Theater Krefeld Mönchengladbach hat sich letzte Woche zum ersten Mal das Schauspiel­ensemble aus sechs Kan­di­dat*in­nen in geheimer Wahl den Regisseur Christoph Roos als neuen Schauspielchef gewählt – einen übrigens älteren weißen Mann. Er hat glaubhaft versichert, das Ensemble auch künftig in seine Entscheidungen einzubeziehen.

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