Nach blutigen Unruhen: Machtwechsel in Kirgistan
Laut kirgisischen Medien hat der autoritäre Präsident Bakijew sein Amt aufgegeben. Die Opposition kontrolliert die Hauptstadt Bischkek und Ex-Außenministerin Otunbajewa führt die Übergangsregierung.
BISCHKEK/MOSKAU apn/dpa/rtr | Nach den blutigen Unruhen in der zentralasiatischen Republik Kirgistan soll der autoritäre Präsident Kurmanbek Bakijew seinen Rücktritt erklärt haben. Das meldeten kirgisische Medien unter Berufung auf Behördenangaben in der Stadt Dschalal-Abad im Süden des Landes, wo Bakijew seine Wurzeln hat.
Dagegen teilte die Opposition in der von Bakijews Gegnern kontrollierten Hauptstadt Bischkek mit, dass der Präsident im Süden seine Anhänger versammeln wolle. "Wir bestehen darauf, dass er zurücktritt", sagte die Oppositionsführerin Rosa Otunbajewa nach Angaben der Agentur Interfax vor Journalisten in Bischkek. Sie erklärte sich zur Chefin einer Übergangsregierung. Otunbajewa will sich am Donnerstag mit einer Rede an das Parlament in Bischkek wenden. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte sie am Telefon, die Übergangsregierung solle sechs Monate im Amt bleiben und eine neue Verfassung erarbeiten. Damit sollten die Grundlagen für faire und freie Präsidentenwahlen geschaffen werden. Otunbajewa ist eine ehemalige Mitstreiterin Bakijews.
Die Opposition übernahm die Kontrolle über den Regierungssitz, vor dem sich hunderte jubelnde Bewohner versammelten. Am Mittwoch hatten tausende Demonstranten das Gebäude gestürmt, das Büro des Staatsanwalts in Brand gesetzt und die Zentrale des staatlichen Fernsehens geplündert. In der Hauptstadt feuerten Polizisten in eine aufgebrachte Menge, die den Sitz der Regierung angriff. Nach Oppositionsangaben wurden dabei 100 Menschen getötet. Das Gesundheitsministerium sprach dagegen von 68 Toten und 400 Verletzten.
Ausgelöst wurden die Proteste von einer massiven Erhöhung der Strom- und Heizkosten. Rund ein Drittel der 5,3 Millionen Kirgisen leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Demonstranten forderten den Rücktritt Bakijews. Der Präsident kam 2005 selbst an der Spitze einer Protestbewegung an die Macht. Die sogenannte Tulpenrevolution führte zum Sturz seines Vorgängers Askar Akajew, dem Korruption und Günstlingswirtschaft vorgeworfen wurden. Inzwischen sieht sich Bakijew aber mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Und auch im Westen war der zunehmend autokratische Führungsstil Bakijews mit Sorge gesehen worden.
Kirgistan ist für den Westen von großem strategischen Interesse. Die USA haben dort einen Militärstützpunkt, um den Nachschub nach Afghanistan zu sichern. Auch Westeuropa ist an einem politisch stabilen Kirgistan interessiert. Das Land liegt nördlich von Iran und Afghanistan und soll ein Bollwerk gegen islamische Extremisten bilden. Auch Russland hat eine Militärbasis im Land. Deren Ministerpräsident Wladimir Putin hatte jüngst bei der Ausweitung des Konflikts die Kontrahenten in Kirgistan zur Zurückhaltung ermahnt. Deutschland unterhält als einziger EU-Staat eine Botschaft in Kirgistan.
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