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Nach Verhandlung in der UkraineDer Krieg geht weiter

Trotz des Angebots einer Waffenruhe und der Hoffnung auf eine Deeskalation, setzt Russland seine Angriffe auf die Ukraine fort.

In Kriwyj Rih, der Heimatstadt von Präsident Selenskyj, schlug am Morgen ein russisches Geschoss in einem Hotel ein Foto: Mykola Synelnykov/reuters

Kyjiw taz | Während die Agenturen diese Nachricht meldeten: „Ukraine bereit zu umfassendem Waffenstillstand“, hallten in Kyjiw kurz nach den Sirenen um Mitternacht mehrere Einschläge durch die Stadt. Sie waren nicht die einzigen, die die Ukraine in der Nacht zum Mittwoch erlebte.

In Kriwyj Rih, der Heimatstadt von Präsident Selenskyj, schlug am Morgen ein russisches Geschoss in einem Hotel ein. Dabei kam ein Mensch ums Leben, neun weitere wurden verletzt, berichtet das ukrainische Ministerium für Katastrophenhilfe. Auch in Charkiw schlug eine Drohne ein, dabei kam es in einigen Hinterhöfen zu Beschädigungen, berichtet Bürgermeister Terechow. Eine Person habe derart auf diesen Angriff psychisch reagiert, dass sie medizinisch behandelt werden musste. Auch in Sumy und Dnipro griffen Drohnen an. Menschen kamen nicht zu Schaden. In Odessa wurden bei einem Raketenangriff in der Nacht vier Menschen getötet und erhebliche Schäden an einem zivilen Frachtschiff sowie an der Hafeninfrastruktur verursacht.

Besonders betroffen, so der ukrainische stellvertretende Premierminister Alexej Kuleba, war das unter der Flagge von Barbados fahrende Frachtschiff „Mj Pina“, das während des Angriffs gerade Weizen für den Export nach Algerien verlud. Vier Besatzungsmitglieder – allesamt syrische Staatsbürger – kamen ums Leben. Kuleba betonte, dass es sich bei dem beschädigten Schiff um ein rein ziviles Handelsschiff handelte.

Nur ungern sprechen Ukrai­ne­r:in­nen über ihre Sicht der Verhandlungsergebnisse. Eine, die spricht, ist Kseni Necheporenko. „Trump ist jetzt zu Beginn seiner Amtsperiode ungefähr in einer ähnlichen Lage, in der auch Selenskyj zu seiner Amtszeit war. Und da hatte Selenskyj doch gesagt, es reiche aus, wenn man einfach nicht mehr schieße“, und sagt weiter: „Nein, das reicht eben nicht aus. Dieser Wille zum Frieden zeigt sich in Raketen und Drohnen auf unsere Häuser, dieser Friedenswille tötet uns und unsere Kinder. Und diesen Frieden wollen jetzt auch die Amerikaner.“ Was sie jetzt interessiere, so Necheporenko, sei die Frage, wie sich die amerikanische Seite verhalten werde, sollte Russland dieses Angebot zum Waffenstillstand ablehnen. „Wird Trump dann sein Versprechen einhalten und die Ukraine verstärkt unterstützen oder wird er mit dem Verlust des Territoriums einverstanden sein?“ Und Letzteres, so Necheporenko, sei nicht akzeptabel.

Der Wunsch nach Waffenruhe ist groß

Swetlana Ganitsch, Mitarbeiterin des Museums der Katakomben von Odessa, will nicht glauben, dass ein Waffen­stillstand in greifbarer Nähe ist: „­Wissen Sie, ich höre die Nachrichten von ­einem möglichen Waffenstillstand und dann mache ich das Fenster auf – und ich kann nicht atmen. Weil ein Hafenterminal von Odessa nach einem russischen Luftangriff von vor zwei Tagen immer noch brennt.“ Und außerdem fragt sie sich: „Warum spielt eigentlich Saudi-Arabien auf einmal so eine große Rolle? Das sind doch Geschäftsleute, die wollen sicher etwas für ihre Dienste ­haben. Zum Beispiel wertvolles ukrainisches Land. Und trotzdem begrüße ich einen Waffenstillstand. Wir können alle nicht mehr. Wir wollen, dass das Töten aufhört.“

Dass auch Geschäftsinteressen hinter einer Waffenstillstandsvereinbarung stecken könnten, vermutet auch der in Odessa lebende Blogger und Anarchist Wjatscheslaw Azarow. In den USA sei nun mal, gerade unter dem jetzigen Präsidenten, Außenpolitik in hohem Maße von wirtschaftlichen Interessen geprägt. Es sei durchaus möglich, so Asarow, dass sich die USA letztendlich vollständig aus der Ukrainekrise zurückziehen, die Sanktionen gegen Russland aufheben und stattdessen mit Wladimir Putin gemeinsame Sache in wirtschaftlichen Projekten in der Arktis machen.

Eine Arzthelferin aus Kyjiw, die ihren Namen nicht nennen will, kritisiert auch die ukrainische Seite: „Ich kann nicht verstehen, warum die Ukrai­ne ausgerechnet in der Nacht vor diesen Verhandlungen die bisher größten Drohnenangriffe gegen Moskau durchgeführt hat. Das ist doch nicht vertrauensbildend.“

Unterdessen will die ukrainische Regierung ins Detail gehen. Man sei dabei, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die sich um die Vorbereitungen zur Umsetzung eines Waffenstillstandes kümmern werde, zitiert das Portal strana.news Außenminister Andrii Sybiha.

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