Nach Überwachung der Liebig 14: Polizei unter Druck
Die Videoüberwachung der Liebig-Nachbarn hat ein politisches Nachspiel: Politiker und Eltern der betroffenen Schule fordern eine Überprüfung.
Die Ausspäh-Aktion der Polizei auf Nachbarhäuser der einst besetzten Liebig 14 hat ein Nachspiel. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) kündigte an, am Montag das Gespräch mit seinem Bezirksamt und der Polizei zu suchen. Auch SPD und Linke im Bezirk wollen die Überwachung prüfen.
"Ich möchte aufklären, wie es zu der Maßnahme kam", sagte Schulz am Sonntag der taz. Die Polizei hatte mit versteckten Kameras aus der Justus-von-Liebig Grundschule heraus Nachbarhäuser des im Februar geräumten Ex-Wohnprojekts Liebig 14 in Friedrichshain überwacht. Vorausgegangen waren schwere Anschläge auf das Haus, das momentan grundsaniert wird. Nach einer taz-Anfrage beendete die Polizei am Donnerstagabend die Observation.
"Ein öffentliches Gebäude, vor allem eine Bildungseinrichtung, für solch eine Überwachung zu nutzen, halte ich für absolut falsch", bekräftigte Schulz. Die Maßnahme habe ihn "sehr überrascht", er sei darüber nicht unterrichtet worden. Linken-Bezirksvorsitzende Halina Wawzyniak bezeichnete die Überwachung als "Schweinerei": "Wenn da Wohnungen abgefilmt wurden, stellt das Anwohner und Besucher unter Generalverdacht." Wawzyniak kündigte an, die Rechtsgrundlage der Observation prüfen zu wollen, "auch nach der Sommerpause".
Auch SPD-Finanzstadtrat Jan Stöß forderte Aufklärung. Offenbar sei die Bezirksleitung nicht von Polizei oder Schulamt informiert worden. "Der Fäll hätte aber im Kollegium diskutiert gehört." Mitarbeiter des Bezirksschulamtes hatten ein Gespräch mit der Polizei bestätigt. Die Überwachung sei genehmigt worden, solange keine Schüler und Lehrer gefilmt würden.
Die Polizei hatte die Maßnahme eingeräumt, aber versichert, keine Wohnbereiche gefilmt zu haben. Anwohner hatten dagegen berichtet, dass die Kameras auch auf Wohnetagen gerichtet gewesen wären. Möglicherweise richtete sich die Überwachung auf die Hausdächer, wo Zeugen nach den Anschlägen auf das Liebig-Haus "vermummte Personen" gesehen haben wollen.
Ein Sprecher der Polizei hatte die Überwachung damit begründet, dass es in den ersten beiden Quartalen 2011 zu "einer Reihe schwerer Straftaten" gekommen sei und "weitere Straftaten zu befürchten" waren. Letzteres hieße, die Überwachung wäre eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Im Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetz sind dafür Videoüberwachungsmaßnahmen erlaubt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für drohende Straftaten vorliegen. Im "Fall Liebig" könnte dafür Paragraph 24a in Frage kommen: "Datenerhebung an gefährdeten Objekten". Hier geht es aber eher um öffentliche Denkmäler oder Religionsstätten. Und: Die Videobeobachtung muss "durch Beschilderung erkennbar" sein. Die Liebig-Observation aber war geheim.
Bliebe Paragraph 25, "Datenerhebung durch längerfristige Observation". Hier bedarf es erwartbarer Straftaten von "erheblicher Bedeutung", deren vorbeugende Bekämpfung "auf andere Weise aussichtslos erscheint". Das könnte auf die Brandstiftung zutreffen. Allerdings muss sich die Maßnahme gegen konkrete, verdächtigte Personen richten. Nur bei einer akuten, "gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben" darf auch allgemein gefilmt werden. Ob dies im Liebig-Fall zutrifft, ist zumindest fraglich.
Laut Canan Bayram, Eltern-Vertreterin an der Liebig-Schule und Grünen-Abgeordnete, haben sich mehrere Eltern kritisch zu der Überwachung geäußert. "Der Wunsch ist groß, jetzt alle Fakten zu dem Fall auf den Tisch zu bekommen."
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