Geheime Videoüberwachung: "Die Polizei muss jetzt alles offenlegen"
"Zweifelhaft" sei die Rechtsgrundlage, auf der Nachbarhäuser der Liebig 14 videoüberwacht wurden, sagt Rechtsanwalt Peer Stolle.
taz: Herr Stolle, die Polizei filmte heimlich die Nachbarhäuser der im Februar geräumten Liebig14, nachdem es mehrere Anschläge auf das Haus gegeben hatte. Darf sie das?
Die Polizeiüberwachung von Nachbarhäusern des geräumten Hausprojekts Liebig 14 wird ein Fall für Berlins Datenschutzbeauftragten. Eine Sprecherin von Alexander Dix kündigte an, dass die Behörde den Fall prüfen und Stellungnahmen einholen werde. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Polizei nach mehreren schweren Anschlägen auf das Liebig-Haus versteckte Kameras in einer benachbarten Grundschule installiert hatte, da "weitere Straftaten zu befürchten waren". Ein Sprecher sagte am Montag, dass die Kameras "nur für kurze Zeit" eingesetzt und nur auf Dächer gerichtet waren. Ein richterlicher Beschluss sei wegen "Gefahr in Vollzug" nicht nötig gewesen. Anwohner sagten, die Kameras hätten auch Wohnbereiche erfasst. Bezirkspolitiker kritisierten die Maßnahme. (ko)
Peer Stolle: Versteckte Überwachungsmaßnahmen sind immer enorm problematisch, weil ohne Wissen der Betroffenen Daten über sie erhoben und gespeichert werden. In diesem Fall soll es wohl um Gefahrenabwehr gehen. Hier ist Videoüberwachung nur möglich, wenn konkrete Hinweise vorliegen, dass künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden sollen. Auch muss die Bekämpfung der Tat auf andere Weise aussichtslos erscheinen und im Verhältnis zur Bedeutung des Sachverhalts stehen.
Die autonome Szene kündigte an, auch nach der Räumung "keine Ruhe zu lassen". Reicht das für die Überwachung?
Peer Stolle
37, arbeitet als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Straf-, Polizei- und Ordnungsrecht.
Ich habe Zweifel, ob das als konkrete Tatsache genügt. Solche Ankündigungen dürften zu unbestimmt sein. Reine Sachbeschädigungen sind keine Straftaten von erheblicher Bedeutung.
Es gab aber auch schon eine Brandstiftung am Haus.
Dann bedürfte es trotzdem konkreter Hinweise, dass erneut eine Brandstiftung begangen werden soll. Ob diese vorliegen, muss die Polizei beantworten.
Anwohner berichteten, dass auch ihre Wohnungen gefilmt wurden. Die Polizei spricht nur von überwachten Dächern.
Das ist das Problem bei solchen Maßnahmen. Die Streubreite der betroffenen Personen ist oft sehr groß. Eine optische Überwachung der Wohnungen wäre auf jeden Fall unzulässig.
Ging es der Polizei darum, Straftaten zu verhindern, oder eher darum, Täter in flagranti zu ertappen?
Zur Verhinderung von Straftaten wäre das Naheliegendste gewesen, die Videoüberwachung öffentlich zu kennzeichnen. Das ist nicht erfolgt. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass es hier eher um Strafverfolgung ging.
Welche Konsequenzen müssen nun gezogen werden?
Die Polizei muss jetzt offenlegen, in welcher Absicht die Kameras installiert wurden und was tatsächlich gefilmt wurde. Dass die Videoüberwachung tatsächlich das letzte Mittel ist, davon geht die Polizei wohl selbst nicht aus, sonst hätte sie die Überwachung nicht sofort nach Bekanntwerden wieder eingestellt.
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