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Nach Sieg gegen Land SüdtirolNeuer Protest gegen Chemieäpfel

Nach dem gewonnenem Prozess gegen die Landesregierung Südtirols will Pestizidprotestler Karl Bär neue Daten veröffentlichen.

Weiter mit Chemie malträtiert: Südtiroler Äpfel Foto: imago

Rom taz | Ein Prozess ist gewonnen, Apfelplantagen werden in Südtirol aber weiter mit massenhaft Chemie malträtiert. Deshalb will Karl Bär nach dem gewonnenen Prozess gegen die Südtiroler Landesregierung in Bozen jetzt erst richtig loslegen – und mit den in dem Prozess gewonnenen Informationen öffentlich Front gegen den aus seiner Sicht überzogenen Einsatz von Pestiziden machen.

Bär, der mittlerweile für die Grünen im Bundestag sitzt, hatte im Jahr 2017 in München eine Aktion des Umweltinstituts verantwortet, für die er vor Gericht gezerrt wurde. Auf einem Großplakat wurde dort – in Abwandlung des üblichen Werbeschriftzugs – unter dem Motto „Südtirol sucht saubere Luft“ der dortige enorme Pestizideinsatz angeklagt. Daraufhin machten der für Landwirtschaft zuständige Landesrat Arnold Schuler von der Südtiroler Volkspartei, die Apfelgenossenschaften sowie insgesamt 1.376 Land­wir­t*in­nen mit einer Klage gegen Bär mobil, den sie der üblen Nachrede und der Markenrechtsverletzung beschuldigten.

Bei einer Verurteilung hätten Bär bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe gedroht; vor allem aber auch Schadensersatzklagen der Land­wir­t*in­nen in Millionenhöhe. Nicht zuletzt wäre die weitere Diskussion über den Pestizideinsatz auf den Südtiroler Feldern unterdrückt worden.

Seit Jahren hält die Region in Italien einen Spitzenplatz beim Einsatz von Chemie: Pro Hektar werden jährlich an die 45 Kilogramm gespritzt, um Pilze, Bakterien und Unkraut zu bekämpfen. Der hohe Aufwand ist vor allem den Apfel- und Weinmonokulturen geschuldet. Südtirol rühmt sich mit dem größten zusammenhängenden Apfelanbaugebiet Europas. Äpfel sind der Exportschlager Nummer eins, Wert: knapp 700 Millionen Euro pro Jahr.

Bäume in soldatischer Ordnung

Diese Äpfel jedoch werden schon lange nicht mehr auf idyllischen Streuobstwiesen geerntet. Stattdessen prägen etwa im Etschtal über Kilometer hinweg monotone Apfelplantagen das Landschaftsbild. In soldatischer Ordnung sind die Pflanzen aufgereiht, am Platz gehalten von Betonpfosten, geschützt von Hagelnetzen – und zwischen den schnurgeraden Reihen ist jeweils genug Platz, damit die Traktoren hindurchfahren können, um ihre Pestizide zu versprühen.

Das hat Folgen nicht nur für die schrumpfende Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren, sondern auch für die Menschen in Südtirol. So wird nicht nur in den Gewässerproben immer wieder die Pestizidbelastung nachgewiesen; Messungen ergaben zudem, dass stolze 45 Prozent der Kinderspielplätze in Südtirol mit Rückständen von chemischen Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Doch statt gegen diesen Missstand, gehen die Landesregierung und die Obstgenossenschaften lieber gegen Kri­ti­ke­r*in­nen vor.

Auf Granit biss zum Beispiel auch die kleine Gemeinde Mals im Vinsch­gau: Sie hatte ihr Territorium für pestizidfrei erklärt und hier die Ausbringung von Chemie auf den Feldern untersagt. Dafür sei sie gar nicht zuständig, argumentierte die Landesregierung. Noch aber ist der Fall beim Staatsrat in Rom – dem höchsten Verwaltungsgericht Italiens – anhängig.

Ausgerechnet durch den mit dem Freispruch für Bär beendeten Prozess wurde aber eine Voraussetzung geschaffen, um dem Thema richtig auf den Grund zu gehen. Bärs Anwalt nämlich hatte die Beschlagnahmung der sogenannten Spritzhefte – der detaillierten Belege über den Pestizideinsatz – bei etwa 1.200 der Ne­ben­klä­ge­r*in­nen erwirkt. Diese Nachweise werden jetzt im Umweltinstitut München ausgewertet. Sie versprechen Aufschluss über den realen Chemieeinsatz auf den Südtiroler Apfelplantagen. Sobald Resultate vorliegen, will das Umweltinstitut sie öffentlich machen – und die Diskussion weiter antreiben.

Am Ende aber werden die Normen für den Chemieeinsatz in der Landwirtschaft weder in Bozen noch in Rom gemacht, sondern in Brüssel, von der EU. Darauf reagierte Bär zusammen mit Mit­strei­te­r*in­nen und schob die Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ an. Bis Ende September 2021 gelang es, knapp 1,2 Millionen Unterschriften zu sammeln. Dadurch erwirkten sie ein Recht auf Anhörung im Europäischen Parlament sowie auf Auskunft seitens der EU-Kommission, was diese zum weiteren Einsatz von Pestiziden in Europa zu tun gedenkt.

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6 Kommentare

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  • Also ich bin aus südtirol, arbeite auch für einen "großen" ( für unsere verhältnisse groß) bio betrieb. Zu sagen bleibt zu dem thema nur (aus meiner sicht), dass zwar immer mehr natur produkte gefordert werden, aber 1. Will keiner dafür den aufpreis zahlen und 2. Sollen äpfel trotzdem dem perfektem ideal entsprechen und ja keine makel haben...am ende entscheidet der kunde was er kaufen will, also fasst euch ALLE selbst an die nase anstatt vor gericht zu ziehen!

  • Es lohnt sich, mal selbst zu recherchieren mit welchen (Mafia?)-Methoden die Obstbauern versucht haben den Mann mundtot zu machen.

  • Wer wirklich in einer Welt ohne moderne Landwirtschaft (also ohne Pflanzenschutzmittel und Dünger) leben möchte, kann sich mal über die Erfahrungen in Sri Lanka erkundigen... .



    Der Gedanke, man könne mit Streuobstwiesen die Welt ernähren, ist doch reichlich naiv... . Das soll allerdings nicht heißen, dass ich Pflanzenschutzmittel und Dünger zum Allheilmittel erklären will: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

  • Äpfel und Weintrauben sind doch mit Pestiziden, Fungiziden völlig verseucht. Da bleibt nur BIO, auch wenn`s teurer wird.



    Fast noch schlimmer sind spanische Erdbeeren von der Weißen Plastikküste. Wer kauft sowas?

    • @cuba libre:

      NaJa beim Bioobstbau wird ja nur Natur vorgegaukelt. Ich denke die 6 kg/ha reines Kupfer stellen an giftigkeit alles aus dem konventionellen Obstbau weit in den Schatten. Kupfer verbleibt im Boden wird von keinem Micoorganismus abgebaut. Und deutsche Bioerdbeeren wachsen genauso im Folientunnel wie die die spanischen. Eine gut/böse Discussion die ich nicht verstehen kann.

      • @Farmer:

        Ich muss hier inhaltlich widersprechen: im Bioobstbau ist in Deutschland nur eine Kupfermenge von 3kg/ha und Jahre zulässig, auch alle Bioverbände arbeiten mit 3kg als Grenzwert. Diese Mengen stehen natürlich auch den konventionellen Produzenten zur Verfügung und nachweislich auch genutzt.



        An Giftigkeit error in den Schatten stellen stimmt so definitiv nicht. Es gibt eine internationale Klassifizierung von Giften, wobei Kupfer bei weitem nicht zu den Gefährlichsten gehört.



        Kupfer ist vor allem langfristig in großen Mengen für das Bodenleben problematisch, für Hauptlasten für die Wein- und Obstbauböden stammen allerdings aus den 60ern bis 80ern.