Nach Sarrazins Verbleib in der SPD: Gabriel will Zickzack-Kurs korrigieren
Nach dem Gemurre um den Nicht-Ausschluss Sarrazins aus der SPD stand die Führungsspitze in Kritik. Jetzt verpasst sich die Partei eine Migrantenquote. Reicht das?
BERLIN taz | Die SPD bemüht sich um Schadensbegrenzung. Nach dem verpatzten Parteiausschluss von Thilo Sarrazin und der anschließenden Kritik versucht die Parteispitze am Montag Geschlossenheit zu demonstrieren. Deshalb steht Parteichef Sigmar Gabriel im Berliner Willy-Brandt-Haus urlaubsgebräunt neben Generalsekretärin Andrea Nahles, die gewöhnlich allein von den montäglichen Gremiensitzungen berichtet.
Der Name Sarrazin fällt lange nicht. Dafür verkündet Nahles, dass sich die Bundespartei eine Quote für Migranten verpassen will. "Wir werden dem Parteivorstand vorschlagen, in allen Gremien der Bundespartei künftig eine Quote von mindestens 15 Prozent zu vereinbaren", sagt sie. Bereits beim Parteitag im Dezember kann eine entsprechende Selbstverpflichtung verabschiedet werden.
Der Vorschlag geht auf den SPD-Arbeitskreis Migration zurück. Dessen Chef Kenan Kolat sagte am Montag der taz, die Quotenidee sei vom Arbeitskreis schon länger beschlossen. "Es gibt in der Partei einfach zu viele qualifizierte Migranten, die es nicht nach oben schaffen." Obwohl etwa 14 Prozent der Parteimitglieder einen Migrationshintergrund haben, liegt ihr Anteil im 45-köpfigen Bundesvorstand und dem Präsidium derzeit bei null Prozent.
"Es freut mich, dass die Bundespartei den Vorschlag jetzt aufnimmt", sagt Kolat. Manchmal müssten solche Dinge wie Sarrazin eben passieren, damit sich etwas bewegt. "Die Partei wollte wohl ein Zeichen setzen."
Parteichef Sigmar Gabriel räumt am Montag ein, dass die Debatte um die Migrantenquote durch die Causa Sarrazin eine "zusätzliche Dynamik bekommen" habe.
Sein plötzliches Interesse an dem Thema wirkt jedoch wie der Versuch, aus der Defensive zu kommen. Jetzt will Gabriel, dessen Zickzackkurs beim Sarrazin-Rauswurf viele Genossen befremdete, mit Entschlossenheit punkten.
Erstmals trat er seit dem abrupten Ende des Parteiausschlussverfahrens von Sarrazin wieder öffentlich auf. In den vergangenen anderthalb Wochen ließ er sich aus dem Urlaub heraus lediglich mit wenigen Sätzen zitieren. Er sicherte Andrea Nahles, die die Bundespartei beim Ausschlussverfahren vertreten hatte, seine "Rückendeckung" zu. Die Generalsekretärin musste in den vergangenen Tagen die Entscheidung zum Nicht-Ausschluss öffentlich vertreten, obwohl sie von Beginn an ein Ausschlussverfahren kritisch betrachtete. Nun wurde sie jedoch zur Zielscheibe der parteiinternen Kritik.
Gabriels "Kommunikationsfehler“
Gabriel, der vor einem halben Jahr die Speerspitze der parteiinternen Sarrazin-Gegner gebildet hatte und sich intensiv für dessen Rauswurf stark machte, blieb dagegen auffallend schweigsam.
Am Montag schaltete er sich erst mal wieder offensiv in die Debatte ein. In der Telefonkonferenz des Präsidiums am Montag habe es laut Parteichef Gabriel aber keine offene Kritik am Verfahren und der Entscheidung um Sarrazin gegeben.
Dennoch gestand er Kommunikationsfehler ein. "Es ist wünschenswert, wenn es anders gelaufen wäre." Aber es liege auf der Hand, dass so ein Verfahren zu Ärger führe. "Wir haben uns in die unerfüllbare Aufgabe gestürzt, das Problem um Sarrazin in der Partei zu beheben." Ein bemerkenswerter Satz und das Beinahe-Eingeständnis, sich völlig verrannt zu haben.
Gabriel wiederholte aber seine Kritik an Sarrazin. "Ich glaube, die Zweifel an seinen Thesen sind keineswegs ausgeräumt", sagte er. Die Schiedskommission habe jedoch der Erklärung Sarrazins, in der dieser von Fehlinterpretationen sprach, Glauben geschenkt. Dass Andrea Nahles in dieser Situation das Verfahren nicht weiter verfolgt habe, sei mit ihm so abgesprochen gewesen. Zur Belohnung für die anstrengenden letzten beiden Wochen ließ Gabriel Nahles auch am Montag mal den Vortritt: während er es auf sich nahm, den Sarrazin-Kurs der Partei zu verteidigen, durfte sie die Migrantenquote verkünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag