Nach Neonazi-Aufmarsch in Dresden: Rechtsextreme feiern "ihren Tag"
Drei Tage nach dem größten Neonazi-Aufmarsch seit 1945 ist die rechte Szene in Triumphstimmung. In Dresden hofft sie, unter einfachen Bürgern Gehör zu finden.
Drei Tage nach dem größten Aufmarsch von Neonazis in der deutschen Nachkriegsgeschichte zeigt sich die rechtsextreme Szene in Feierlaune: Der 14. Februar 2009, als 6.000 Menschen mit einem "Trauermarsch" durch Dresden zogen, war "ihr Tag", darin wissen sich die Militanten aus den Kameradschaften mit NPD- und DVU-Leuten einig.
Es ist nicht allein die Rekordzahl, die Rechtsextremisten so verzückt. Wichtiger sei der Umstand, so verlautet die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, "dass das von linken Parteien, Spitzenpolitikern, Gewerkschaften und Kirchen getragene Bündnis ,GehDenken' seinen vollmundig verkündeten Vorsatz, den Zug der ,Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland' zu stoppen, trotz einer bundesweiten Mobilisierung nicht einmal ansatzweise wahrmachen (…) konnte. Ihr Abgeordneter Jürgen Gansel spricht gar von einem "Schlag ins Gesicht der antideutschen Schuld- und Sühneprediger".
Das Gefühl, an diesem Samstag den Kampf auf Dresdens Straßen gewonnen zu haben, wird nachwirken. Und möglicherweise wird auch das Gefühl der Einigkeit nachwirken, die Rechtsextremisten an diesem Tag zur Schau stellten: als der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt und sein Herausforderer Andreas Molau gemeinsam lächelnd das Fronttransparent "Ehre, wem Ehre gebührt" trugen; auf der Abschlusskundgebung der NPD-Mann Holger Apfel, der DVU-Bundesvorsitzende Matthias Faust und der ehemalige Wehrmachtsinspekteur Hajo Hermann sprachen; gescheitelte Burschenschafter und Bünde mit schwarz gekleideten "Autonomen Nationalisten" marschierten und junge Naziskinheads im klassischen Stil einträchtig neben biederen älteren Herren und Damen und sogar Familien mit Kindern liefen.
Die Attraktivität, in Deutschland einen großen Marsch zu erleben, strahlt auch längst über die Grenzen hinaus. Teilnehmer und Redner kamen aus Österreich, der Slowakei, Spanien, Schweden und Tschechien - darunter viele Angehörige der in Tschechien verbotenen und besonders gewaltbereiten Neonaziorganisation Národní Odpor.
Friedemann Bringt vom Kulturbüro Sachsen, das an der Organisation der Gegenkundgebung maßgeblich beteiligt war, hat beobachtet, dass die Teilnehmer über das übliche rechtsextreme Spektrum hinausgingen. Neben verschiedenen Abteilungen der NPD, der DVU und freier Kameradschaften habe er Angehörige der Dresdner Burschenschaftsszene und Mitglieder von Vertriebenenverbände beobachtet. Das sei im Vergleich zu früher, als es eher eine einheitliche Szene gewesen sei, "eine qualitative Veränderung".
Bianca Klose von der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus hingegen meint, dass die Landsmannschaften und Burschenschaften nur an den Transparenten zu erkennen gewesen seien. Eine nennenswerte Zahl ausländischer Neonazis hat sie ebenfalls nicht beobachtet. Die "Füllmasse" hätten "stramme Neonazis" aus dem gesamten Bundesgebiet gebildet. Allerdings seien alle Altersgruppen vertreten gewesen, auch viele Altnazis. Auffällig fand sie, dass der Block der "Autonomen Nationalisten", ein besonders gewaltbereites Spektrum, großen Zulauf hatte.
Unzweifelhaft ist jedenfalls, dass es den Organisatoren um die Junge Landsmannschaft Ostpreußen - ehedem die Jugendorganisation der Landsmannschaft Ostpreußen, die sich von ihr vor drei Jahren wegen ihrer extremen Rechtslastigkeit trennte - diesmal gelungen ist, die in Dresden seit zehn Jahren stattfindende Demonstration zum "zentralen Marsch" des Jahres zu machen und ihn schon Monate im Voraus in der Szene zu bewerben.
Doch Dresden ist für die Neonazis nicht irgendein Großevent. Besonders attraktiv an diesem Termin ist, dass der Opferkult um Dresden nicht nur Konsens innerhalb der extremen Rechten ist, sondern auch Berührungspunkte bis in das bürgerlich-rechtskonservative Lager hinein bietet. Die Rede vom "Bombenholocaust", wie vor vier Jahren der Vorsitzende der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, Holger Apfel, die Luftangriffe titulierte, ist der Versuch, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren und zugleich an Stimmungen und Meinungen in der Mitte der Gesellschaft anzuknüpfen.
Gerade in Dresden hoffen die Rechtsextremisten, auch außerhalb ihrer üblichen Klientel, unter einfachen Bürgern Gehör zu finden. Der jährliche schwarz-braune Marsch setzt auf einen doppelten Mythos der Stadt, der zwischen Selbstverklärung und Selbstmitleid schwebt.
Da ist einerseits das Selbstbild einer Stadt der Schönheit und des Geistes, das auf die vom sächsischen Kurfürst August geprägte Vision vom städtischen Gesamtkunstwerk und Herders Wendung vom "deutschen Florenz" zurückgeht und bis heute geradezu autistische Züge trägt. Da ist zum anderen die Bombardierung der Stadt im Februar 1945, die schon in den letzten Kriegsmonaten von der NS-Propaganda als eine singuläre Untat dargestellt wurde.
Dieser Tenor schwang auch in der Gedenkpolitik der DDR mit, wenngleich stets der mahnende Charakter "Nie wieder Krieg - Nie wieder Faschismus!" als Schlussfolgerung im Vordergrund stand. Das Zerstörungstrauma in Verbindung mit einer gewissen Verliebtheit der Dresdner in ihre Opferrolle nährte über Jahrzehnte einen latenten Zorn über Engländer und Amerikaner. Zudem wurde Dresden zu einer Chiffre für Kriegsgräuel schlechthin. Der 13. Februar sei eines der Daten, "die einen festen Platz im kanonisierten Jahreslauf des Gedenkens in Deutschland und Europa einnehmen", schreibt Matthias Neutzner, Vorsitzender der "IG 13. Februar" in Dresden.
An diesem Punkt setzen die Neonazis an. Der Angriff auf Dresden wird zu einem generellen Angriff auf die deutsche Kultur, zum "deutschen Hiroshima", so eine Banderole im "Trauermarsch". Mit nach oben getriebenen Opferzahlen wird zynisch an das Schmerzempfinden der Dresdner appelliert.
Doch die Generation derer, die ohne jeden historischen Kontext einen rein subjektiven Opferkult pflegen wollen, schwindet. In der Stadt gewinnt eine aufgeklärte akademische Elite Raum, und viele Jugendliche verstehen Dresden als eine unter vielen schönen Städten. Sie nehmen auch die Zerstörungsfolgen weniger wahr. Eine Neonazihochburg ist die Stadt nicht. Und dass sich Dresdner Bürger, die sich im offiziellen Gedenken nicht wiederfanden und sich spontan dem Geisterzug der Neonazis anschlossen, konnte man vor ein paar Jahren noch häufiger beobachten als heute.
Stattdessen wächst der Frust über die Instrumentalisierung des Gedenktages. Und leider sieht eine wachsende Zahl von Dresdnern auch im "GehDenken" der Demokraten eine Instrumentalisierung. Viele verreisen extra an diesem Wochenende. Diese Stimmung dürfte dazu beigetragen haben, dass die Gegenveranstaltung kaum besser besucht war als der Naziaufmarsch.
Diese Tendenz werden Politiker beachten müssen, wenn sie sich jetzt schon über die Gestaltung des 65. Jahrestages streiten, der 2010 bevorsteht. Die Debatte darüber ist schon entbrannt: Der Neonaziaufmarsch soll künftig verboten werden, fordert die Linke, während der Zentralrat der Juden die CDU und die FDP dazu auffordert, die Gegendemonstration zu unterstützen - auf dass die Neonazis im kommenden Jahr nicht wieder einen Doppelerfolg feiern können.
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