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Nach Loveparade-UnglückGegenseitige Vorwürfe

Angeblich soll die Party-Genehmigung der Bauaufsicht erst am Sonntag der Polizei vorgelegen haben. Der Veranstalter und die Polizei kritisieren sich gegenseitig.

Auf Duisburgs OB richtet sich derzeit die größte Wut der trauernden Ravergemeinde. Bild: dpa

DUISBURG dpa | Nach der Loveparade-Katastrophe mit inzwischen 20 Toten tauchen immer neue Ungereimtheiten auf. Die offizielle Genehmigung der Bauaufsicht der Stadt Duisburg für die Mega-Veranstaltung lag der Polizei nach Informationen der FDP in Nordrhein-Westfalen erst am Tag nach dem Unglück vor, wie Radio Erft (Köln) am Dienstag den innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion, Horst Engel, zitierte.

Engel habe demnach diese Information von Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD ) erhalten. "Die Genehmigung der Bauaufsicht, der Bauverordnung, der Bauverwaltung der Stadt Duisburg ist vom 21. Juli. Und die hat die Polizei erst am Sonntag erreicht, also (...) direkt nach der Veranstaltung."

Nach dem Unglück sehen sich Polizei und Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) neuen heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Zudem dringt die Deutsche Polizeigewerkschaft auf einen Sicherheits-TÜV für Großveranstaltungen.

Nach Einschätzung von Loveparade-Chef Rainer Schaller könnte die Tragödie durch eine verhängnisvolle Anweisung der Polizei ausgelöst worden sein. Schaller kritisierte die Einsatzleitung der Polizei. Diese hat nach Schallers Angaben alle Schleusen vor dem westlichen Tunneleingang öffnen lassen. Zuvor hätten die Veranstalter 10 der 16 Schleusen geschlossen gehalten, weil bereits eine Überfüllung des Tunnels gedroht habe.

Durch die Anweisung der Polizei sei dann der Hauptstrom der Besucher unkontrolliert in den Tunnel gelangt. "Für den Fall der Überfüllung sollten die Schleusen geschlossen werden", sagte Schaller.

Die Polizei in Köln, die nach dem tragischen Ende der Loveparade mit 20 Toten und mehr als 500 Verletzten ermittelt, bezeichnete die Kritik als verfrühte Spekulation. "Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht in der Lage zu sagen, was der Auslöser war für das Ganze, wie es sich ereignet hat. Das kann man jetzt noch nicht seriös feststellen", sagte eine Sprecherin. "Wir fänden es gut, wenn sich Herr Schaller nicht in Spekulationen verlieren würde."

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, pocht auf neue Regelungen für Mega-Events. "Das Sicherheitskonzept für Massenveranstaltungen ist derart anspruchsvoll, dass es nicht allein in den Händen einer Stadtverwaltung liegen darf", sagte Wendt der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es sei zwingend erforderlich, eine Art TÜV für Großveranstaltungen einzuführen. Künftig sollten Ereignisse wie die Loveparade nur noch möglich sein, wenn der zuständige Landesinnenminister grünes Licht gegeben habe.

Wie die Kölnische Rundschau berichtete, unterschrieb Duisburgs OB Sauerland die ordnungsbehördliche Erlaubnis für die Loveparade erst kurz vor Beginn um neun Uhr. In einem Artikel der Zeitung heißt es: "Noch am Freitag wurde in verschiedenen Sitzungen über das Sicherheitskonzept debattiert, wobei die Duisburger Berufsfeuerwehr und Polizisten nochmals deutlich machten, dass die Großveranstaltung so nicht stattfinden kann." Sauerland sagte der Rheinischen Post, er habe nichts von Sicherheitsbedenken vor Beginn der Loveparade gewusst.

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13 Kommentare

 / 
  • SN
    Siegfried Nagel

    Es scheint so, als ob letztlich die kommerziellen Interessen des Veranstalters und die Geltungssucht des Bürgermeisters der verschuldeten Stadt Duisburg zu einer fatalen beratungsresistenten Bedenkenlosigkeit geführt haben. Was ist aber mit den über eine Million Menschen, jetzt Raver genannt, die wie ein Zug der Lemminge in ein scheußliches umzäuntes Gelände marschierten, um sich zu Musik zu bewegen, bei der man nicht einmal mehr bemerkte, daß irgendwo Menschen zu Tode kommen? Neuer Massenwahn für welche Idole, der dazu führt, daß der Mensch zum Raver mutiert und massenhaft seinen Instinkt für Gefahr verliert. Schon die Römer beschäftigten ihre Plebejer mit Brot und Spielen. Heute Hartz 4 und massenhafte Vergnügung. Eine aus Berlin medienwirksam angereiste junge Ministerin plapperte auch folgerichtig, die Loveparade müsse weitergehen. Veranstalter Schaller warf erst einmal den Stab hin. Ein anderer wird ihn wohl aufheben wollen. Und die Duisburger Polizei? Sie habe zuvor gewarnt, sagen jetzt einige. Wo war aber der offene Protest als das Risiko absehbar war? In der Disziplin erstarrt. Vor einem Bürgermeister, der wohl nicht zu halten ist.

     

    Siegfried Nagel

    Erkrath

  • WL
    W. Lorenzen-Pranger

    >>Es ist ein Bild, das wütend macht, auch wenn die Kombination der Darstellung auf der CDU-Website reiner Zufall ist! Dennoch frage ich mich, ob das sonst niemandem aufstößt???????

  • U
    u_koeln

    @TiM: mir ist es auch aufgestossen, und zwar gehörig. dieser feine herr mahlberg von der cdu duisburg hat sich vor einiger zeit für die absetzung des jetzt pensionierten duisburger polizeipräsidenten r.cebin stark gemacht, weil der schon vor längerer zeit gewarnt hatte, die loveparade in duisburg stattfinden zu lassen. ich kann nur alle dazu aufrufen, diesem herrn mahlberg unter cdu-duisburg.de klarzumachen (->kontakt), dass er unerträglich ist und sich schnell vom acker machen sollte, wie diese ganze cdu-mischpoke in duisburg überhaupt. wann merken die leute endlich, dass alles immer nur den wirtschaftlichen interessen untergeordnet wird, was die herren politiker so entscheiden. eschede, bp im golf von mexiko, jetzt die loveparade - immer waren vorher kompetente leute da, die gewarnt hatten. aber in diese dummdreisten und bornierten bwler-schädel geht das nicht rein - es wird lieber über leichen gegangen als mal nachzudenken, ob das system vielleicht faul ist.

  • D
    Duisser

    Wir bitten darum, dass sich bei der Trauerfeier keine Verantwortlichen, kein Veranstalter und keine Vertreter der Politk sich öffentlichkeitswirksam in den Vordergrund spielen. Diese Trauerfeier soll für die Angehörigen, Betroffenen und Trauernden vorbehalten sein. Falls Herr Wulff meint, er müsste seinen Mallorca-Urlaub unterbrechen, ebenso Frau Merkel, sollten sie sich dezent im Hintergrund halten. Von Absperrungen haben wir hier die Schnauze voll.

  • I
    Immerweiterso

    DA haben wir sie wieder, die Polizei als Prügelknaben. Immer drauf. Was kümmert es einen Politiker, was die Fachleute von der Polizei und der Feuerwehr sagen. Man ist doch in der wer!!! Ups...nun ist das Kind in den Brunnen gefallen. Eine große Trauer, die sich nicht in Worten fassen kann. Fassungslos ist man über das Verhalten der Politiker.

    Wer keine Verantwortung übernehmen will/kann, sollte auch keine behalten. Schmeißt die ganze Truppe aus ihren Amt ohne weitere Bezüge oder Pensionen. Sie haebn es nicht verdient.

  • C
    Christine

    Warum bleiben solche Details im Dunkeln wie z.B;

    warum hat die Polizei entgegen jeder vorstellbaren Logik die Schleusen zu den Tunneln geöffnet ?

    Ich finde das Alle! ein Recht darauf haben solche

    Details auch vor Abschluss der sich evtl. Wochen oder Monate hinziehenden Untersuchungen zu erfahren.

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Ist noch nie niemandem aufgefallen, dass die Staatsapparate extrem repressiv, gerade in ihren polizeilichen Teilen und gerade in bezug auf Massenveranstaltung, in fast allen Handlungen sind?

    Repression hält klein. Das gilt recht allgemein und geht in viele Details.

     

    Dieses "Cowboy - Rinderherde" Setting ist eben extrem ungünstig.

    Schon demokratietechnisch ist es im Gelehrtendeutsch mit: "vox populi - vox Rindvieh", als adäquate Beschreibung des Verhältnisses Staat - Bevölkerung oder Massen, es für alle, die nur ansatzweise "aufmerken", von Staats- und auch Wirtschaftsseite, Medizin inklusive, die gültige allgegenwärtige Doktrin.

     

    Das sind wirkliche Tote und jeden Tag unwiederbringliche Lebenszeit massenhaft,

    die da über den Jordan oder die Wupper gehen.

     

    Trauer muss Elektra tragen.

  • K
    Kati

    Kommentator TiM hat recht: das gegrinse der beiden auf der CDU-Homepage ist, sorry, ekelhaft.Nebenan steht das Beileid....

  • W
    Wolfgang

    Wir haben in Deutschland unbestritten die besten Ordnungshüter: wenn es um das Aufschreiben von Parksündern geht. Spitze!

    Geht es aber um politische Entscheidungen, dann setzt der Verstand aus. Mit aller Macht wird eine Love-Parade durchgesetzt. Sicherheit? Man kann ja beten! Praktisch: vorher u n d nachher!!

    Entsetzlich.

  • S
    schlegel

    Danke, Frau Schmoll, Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich kann schon keine Nachrichten mehr hören, da dort immer nur noch das große Wort SCHULD auftaucht. Die Opfer sind nur noch nebensächlich bzw. Beiwerk bei dem Medienhype "Wer ist SCHULD".

  • T
    TiM

    Wer etwas Makaberes zum Thema braucht, schaue sich mal die Website der CDU-Duisburg (Punktde) an. Dort ist aktuell der amtierende, rücktrittsscheue OB Sauerland grinsend neben der Beileidsbekundung der Stadt-Partei zu sehen. Und über allem "thront" der Kreisvorsitzende Mahlberg, ebenfalls breit grinsend, der per Brief versucht hatte, den ehemaligen Duisburger Polizeipräsidenten Rolf Cebin, von (Ex-)NRW-Innenminister Wolf ablösen zu lassen. Cebin hatte erhebliche Bedenken bei der Umsetzung der Loveparade geäussert!

     

    Es ist ein Bild, das wütend macht, auch wenn die Kombination der Darstellung auf der CDU-Website reiner Zufall ist! Dennoch frage ich mich, ob das sonst niemandem aufstößt???????

  • CS
    Claudia Schmoll

    Wann fangen wir endlich an, als Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen statt sich nur gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben? Ich denke, hier haben alle Beteiligten, die sich um die Sicherheit sorgen sollten, Fehler gemacht, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.

     

    Wo sind die beteiligten Institutionen mit Rückrat, die sich gemeinschaftlich hinstellen und es zugeben, die sich entschuldige, die um Verzeihung bitten und versprechen, sich an einen Tisch zu setzen und zu handeln??? Was ist so schwer an etwas, das wir von jedem 5-jährigen verlangen?

     

    Die Geschichte der Menschheit ist doch schon zu alt, als dass nicht jeder mittlerweile wüsste, dass man die Schuld nicht immer auf die anderen, und besonders nicht nur auf einen schieben kann. Rückrat zeigen, Verantwortung übernehmen und handeln, nur dann kann die betroffene Gemeinschaft auch verzeihen und wieder neu vertrauen.

  • C
    cyctologie

    wir haben zu wenig staat, soweit es die finanzielle ausstattung und die infrastruktur unserer behörden und verwaltungen anbelangt.

    das budget, die kulturhauptstadt, die veranstalter, die sponsoren: DAS GELD.

     

    die kette organisierter verantwortungslosigkeit riss an ihrer schwächsten stelle. und genau dort: bei der polizei, vermutet man nun die schuldigen.

     

    das war kein unfall, keine unvermeidliche katastrophe. in diesem land stimmt was nicht. das braucht eine antwort:

    mehr polizei?

    mehr engagement?

    mehr demokratie wagen?

    mehr krieg?

    mehr überwachung?

    noch mehr gedanken machen?

    handeln?