Nach Kruzifixverbot in Klassenzimmern: Heftige Kritik aus Rom
Die Regierung Berlusconi kündigt Berufung gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an. Der hatte Kruzifixe in italienischen Klassenzimmern verboten.
ROM taz | Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen Kruzifixe in den Klassenzimmern hat in Italien heftige Reaktionen ausgelöst. Am Dienstag hatte der EGMR befunden, dass die Kreuze in den Schulen die Religionsfreiheit nichtkatholischer Schüler verletzen und sie einem nicht verfassungskonformen Anpassungsdruck aussetzen.
Die auf zwei Königliche Dekrete der Jahre 1924 und 1928 zurückgehende verbindliche Anordnung des Unterrichtsministeriums an alle Schulen, in sämtlichen Klassenzimmern Kreuze aufzuhängen, ist hinfällig. Welche Dimensionen das Phänomen annehmen konnte, beschrieb jetzt einer der Söhne der klagenden finnische-italienischen Mutter: In seiner Klasse hätten drei Kreuze gehangen, "wohin man auch schaute, fühlte man sich beobachtet" vom Heiland.
Doch damit soll es auch nach dem Urteil keineswegs vorbei sein. Außenminister Franco Frattini sprach von "einem tödlichen Schlag für das Europa der Werte und der Rechte". Und Unterrichtsministerin Mariastella Gelmini: "Keiner, auch nicht irgendein ideologiebefrachteter europäischer Gerichtshof wird es schaffen, unsere Identität auszulöschen." Gelmini kündigte an, dass Italiens Regierung in die Berufung gehen werde.
Klar, dass sie die italienische Bischofskonferenz genauso wie den Vatikan an ihrer Seite hat. Die Kirche erklärt jetzt, Christus sei schließlich "für alle" inklusive der Nichtgläubigen am Kreuz gestorben, die sollten sich jetzt also nicht so anstellen, wenn in allen Schulen (genauso wie in allen Gerichtssälen) Kreuze hängen. Und Gelmini argumentiert, dass "das Kreuz in der Klasse nicht Zugehörigkeit zum Katholizismus ausdrückt, sondern ein Symbol unserer Tradition ist".
Auf dieser Linie findet sich auch Pierluigi Bersani, gerade gewählter Vorsitzender der Demokratischen Partei und damit Oppositionsführer. "Ich denke, dass in solch einer empfindlichen Frage der gesunde Menschenverstand zum Opfer des Rechts geworden ist. Eine überkommene Tradition wie die des Kreuzes kann für niemanden eine Beleidigung darstellen".
So bleiben am Ende nur kleine religiöse Minderheiten wie die Jüdische Gemeinde, die aber auch bloß "theoretisch" gegen das Kreuz in den Schulen ist, praktisch aber vor Glaubenskriegen warnt, während sich allein die Waldenserkirche, eine protestantische Glaubensgemeinschaft, rundum zufrieden über das Urteil äußerte.
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