Nach Festnahme von Al-Qaida-Mitgliedern: Noch kein konkretes Ziel
Die Terrorverdächtigen planten offenbar einen Anschlag auf eine große Menschenmenge. Bei den Wohnungsdurchsuchungen wurde jedoch kein Sprengstoff gefunden.
KARLSRUHE taz | Sechs Monate lang wurden die so genannte "Düsseldorfer Zelle" überwacht, dann griff die Polizei zu. Man wollte verhindern, dass schon beim Bombenbasteln aus Versehen das ganze Haus in einem Düsseldorfer Wohngebiet in die Luft fliegt.
Drei Mitglieder der Grupppe wurden am Freitagfrüh in unterschiedlichen Wohnungen festgenommen. Am Samstag wurden sie der Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof vorgeführt. Gegen den Hauptbeschuldigten, den 29-jährigen Marokkaner Abdeladim El-K., wurde schon gegen Mittag Haftbefehl erlassen. Bei seinen beiden Kumpanen folgte die Entscheidung am Nachmittag.
Abdeladim El-K war vor einigen Jahren zum Studium nach Deutschland gekommen, berichtete BKA-Chef Jörg Ziercke am Samstag vor Journalisten in Karlsruhe. El K. bsuchte zunächst Sprachkurse und studierte dann in Bochum Maschinenbau und Mechatronik. Schon damals war er den Sicherheitsbehörden als Extremist aufgefallen. 2009 wurde er von der Uni exmatrikuliert, weil er keine Veranstaltungen mehr besuchte.
Im Frühjahr 2010 sei El-K. dann in ein terroristisches Ausbildungslager nach Waziristan in Nordpakistan gereist, was die Behörden aber erst viel später erfuhren. Dort habe er von einem "hochrangigen Al Qaida-Mitglied" den Auftrag bekommen, einen Anschlag in Deutschland auszuführen. Wer der Auftraggeber konkret war, wollten weder Ziercke noch Bundesanwalt Rainer Griesbaum sagen.
"Anschlagsrelevante Vorbereitungen"
Im Mai 2010 kam El-K. nach Deutschland zurück und begann, so Ziercke, mit "anschlagsrelevanten Vorbereitungshandlungen". Er suchte im Internet nach Bombenbau-Anleitungen und recherchierte die Sicherheitsvorkehrungen öffentlicher Gebäude, Flüghäfen und Bahnhöfe. Um konkrete Gebäude, wie etwa den Berliner Reichstag, ging es dabei freilich nicht.
Außerdem nahm El-K. Kontakt zu zwei anderen Islamisten auf, die er noch von früher kannte. Der 31-jährige Deutsch-Marokkaner Jamil S. aus Düsseldorf sorgte für die Finanzen der Gruppe, wohl weil er als einziger Arbeit hatte. Außerdem sollte er für El-K. falsche Papiere besorgen. Dritter Mann war der 19-jährige Deutsch-Iraner Amid C., der für die verschlüsselte Kommunikation der Gruppe zuständig war.
S. und C. sind beide in Deutschland geboren und aufgewachsen. S. hatte nach seinem Realschul-Abschluss eine Lehre als Elektroanlageninstallateur gemacht und arbeitete zuletzt bei Zeitarbeitsfirmen. Der 19jährige C. ging dagegen noch zur Schule und stand kurz vor dem Abitur.
Ab November stand die Gruppe unter der Überwachung des BKA. Wie man genau auf El-K. und seine Zelle aufmerksam geworden war, wollten Ziercke und Griesbaum nicht sagen. Es habe "verschiedene Hinweisstränge" gegeben. Man habe dabei auch mit Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und US-Geheimdiensten zusammengearbeitet. Die Düsseldorfer Zelle war wohl auch der konkrete Anlass für die "erhöhte Gefährdungslage", die der damalige Innenminister Thomas de Maizère im letzten Herbst ausrief.
Wohnungen und Telefone überwacht
Von da an wurden die drei jedenfalls rund um die Uhr vom BKA und dem nordrheinwestfälischen Landeskriminalamt überwacht. Permanent waren 50 Leute in Observationstrupps und weitere 76 Beamten für sonstige Überwachungsmaßnahmen im Einsatz. Dabei wurden Wohnungen und Telefone abgehört, Emails mitgelesen. Auf Computern wurden Spähsoftware installiert und verschlüsselte Internet-Telefonate wurden schon im Computer, also vor der Verschlüsselung (mittels Quellen-TKÜ) erfasst.
Das BKA nutzte also wohl erstmals in diesem Umfang sein neues Instrumentarium für die Gefahrenabwehr, das ihm seit Anfang 2009 zur Verfügung steht. Bis dahin waren die Landespolizeien für die Gefahrenabwehr zuständig. Was die Online-Durchsuchung konkret erbracht hat, wollte Ziercke aber nicht sagen. Das werde noch ausgewertet.
Die Ermittler hatten aber den Eindruck, dass El-K. mit großem Engagement bei der Sache war. "Da war keine normale Lebensführung, keine Arbeit, keine Hobbies", berichtete Ziercke. Das Verhalten der Gruppe sei vielmehr hochkonspirativ gewesen. El-K., der sich nach seiner Rückkehr aus Waziristan illegal in Deutschland aufhielt, verzichtete sogar auf Moscheebesuche, um bloß nicht aufzufallen.
Für gewisse Verwirrung sorgte El-K., als er im Januar diesen Jahres plötzlich nach Marokko ausreiste. Nun wurde auch der marokkanische Geheimdienst eingeschaltet, "zum Schutz der dortigen Zivilbevölkerung", so Ziercke, es hätte ja sein können, dass nun ein Anschlag in Marokko geplant ist. Doch im März kam El-K. zurück. Das BKA hatte weiterhin alles im Blick, "Aus- und Einreise waren kontrolliert", sagte ein BKA-Kriminaloberrat.
Bau einer Splitterbombe erwogen
Immer zielgerichteter recherchierte El-K. nun nach Bauteilen für die Bombenproduktion. Nach BKA-Erkenntnissen wurde der Bau einer Bombe erwogen, die mit Metallteilen versehen war. Wo diese Splitterbombe eingesetzt werden sollte, stand aber noch nicht endgültig fest.
In den letzten Tagen verdichtete sich die Lage dann zusehends. In einer Düsseldorfer Wohnung versuchten El-K. und S. aus Grillanzündern Hexamin zu gewinnen, das sie mit Wasserstoffperoxid und Zitronensäure mischen wollten, um so den "Zünder für eine Bombe" herzustellen. Den Ermittlern wurde langsam mulmig. Immerhin lag das Mietshaus, in dem die Arbeiten stattfanden, mitten in einem Wohngebiet. Außerdem konnte die Polizei am Dienstag über eine Wanze mit anhören, wie die Islamisten feststellten, das Bauen eines Zünders sei deutlich schwieriger, als die Herstellung der eigentlichen Bombe.
Daraus schlossen die Beamten, dass möglicherweise schon sprengfähiges Material vorhanden sein könnte. Am Mittwoch wurde über mögliche Angriffsziele gesprochen, etwa ein Bus oder eine Bushaltestelle. Am Donnerstag schließlich freuten sich die angehenden Terroristen über den Terroranschlag auf ein Café in Marrakesch. Die drei hatten damit zwar nichts zu tun, jedoch befürchteten die Ermittler dass dies zu einer "Euphorisierung" der Gruppe beitragen könnte.
Ohne Haftbefehl verhaftet
"Bevor da etwas aus dem Ruder läuft", so Ziercke, beschloss die Polizei nun zuzugreifen. Immerhin hatte Al Qaida auch in den letzten Wochen ihre Anschlagsdrohungen verstärkt. Das BKA besorgte sich also Durchsuchungsbeschlüse für sechs Wohnungen in Bochum, Düsseldorf und Essen, darunter die der drei Beschuldigten, und nahmen die drei (ohne Haftbefehl) gleich mal vorläufig fest. Dabei kamen am Freitagmorgen 108 Polizisten von BKA und GSG 9 zum Einsatz. Nur einen kleinen Zwischenfall gab es: Als die Polizei die Düsseldorfer Wohnung von Jamil S. stürmte, griff dieser zum Messer und bedrohte die Beamten. Nach etwas Zureden ließ er sich aber widerstandslos festnehmen.
Die Bundesanwaltschaft war ab Weihnachten über die Aktivitäten des BKA informiert, doch erst Mitte April war die Beweislage so verdichtet, dass ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Die frühzeitige Festnahme der drei Islamisten erleichtert nun zwar nicht die Strafverfolgung, dennoch war die Bundesanwaltschaft mit dem Zugriff einverstanden. "Wir sprechen hier mit einer Stimme", sagte Bundesanwalt Griesbaum.
Tatsächlich ist die Beweislage für eine fortgeschrittene Attentatsplanung nun nicht besonders gut. Bei der Hausdurchsuchung wurde kein Sprengstoff gefunden. Außerdem stellte das BKA fest, dass der Plan zur Herstellung eines Zünders gar nicht hätte gelingen können, weil die Terrorbastler die falschen Grillanzünder gekauft hatten.
Dennoch erließ die BGH-Ermittlungsrichterin gegen alle drei Beschuldigte Haftbefehle. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Mitglieder in der ausländischen terroristischen Vereinigung al Qaida sind. El-K. war schon im Ausbildungslager aufgenommen worden und er habe die beiden anderen rekrutiert.
Ziercke wollte allerdings "keine Entwarnung für Deutschland" geben. Das Netzwerk der Gruppe habe aus sieben bis acht Personen bestanden, eine davon sei noch nicht identifiziert. Außerdem plane Al Qaida auch weiterhin, Terroranschläge in Deutschland und Europa. Und schließlich könnten fanatisierte Einzeltäter auch einfach die Propaganda von al Qaida aufgreifen, wie jüngst am Frankfurter Flughafen, als der 21-jährige Kosovo-Albaner Arid U. zwei US-Soldaten erschoss.
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