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Nach Erfahrung mit VerwaltungsreformBitte auch ein Neustart für Berlin

Der Koalitionsvertrag im Bund steht. Jetzt wird also angeblich alles gut. Einen Ruck nach vorn aber hätte auch die Hauptstadt nötig. Eine Einordnung.

Je konstruktiver es im Parlament zugeht, bei der Koalition wie bei der Opposition, umso besser für ein funktionierendes Berlin Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Berlin taz | „Ein starker Plan“, meint der designierte Kanzler Friedrich Merz, „ein Aufbruchsignal“ will SPD-Chef Lars Klingbeil erkannt haben. Mit Deutschland soll es also wieder aufwärts gehen, nachdem der Koalitionsvertrag auf Bundesebene vorgestellt ist und die Zustimmung der SPD-Basis als Formalie gilt. Mal dahingestellt, ob das klappt oder nicht: Auch das Land Berlin kann einen Neustart in gleicher Weise brauchen – und hätte derzeit, eineinhalb Jahre vor der Abgeordnetenhauswahl, sogar eine Chance dafür.

Chancen? Neustart? Hoffnung auf Besserung? Das mag so gar nicht passen zur Finanzlage Berlins, die allen Sparens zum Trotz immer gruseliger zu werden scheint. Schon vor einiger Zeit war von Finanzsenator Stefan Evers (CDU) zwar nebulös vom „Licht am Ende des Tunnels“ zu hören. Aber wie lang dieser Tunnel ist, ließ er offen und berichtete stattdessen von weiter fehlendem Geld und fortgesetztem Kürzungsdruck trotz des bereits beschlossenen 3-Milliarden-Sparprogramms. Dabei wären nach einer jüngst vorstellten Studie allein 108 Milliarden Euro nötig, um Berlins öffentliche Infrastruktur wieder in Schuss zu bringen.

Zwei Dinge sind es, die derzeit dennoch Hoffnung auf Besserung machen. Da ist zum einen der eigentlich missliche Fall der maroden A100-Brücke, der zeigt: Es kann auch schnell gehen in Berlin – wie beim jetzt begonnenen Abriss. Von einem Autobahnsprecher hieß es: „Das, was normalerweise sechs Monate im Schnitt braucht, machen wir jetzt gerade hier in sechs Wochen.“ Ob die Rechnung genauso aufgeht, wird man sehen. Das Tempo überrascht dennoch.

Und dann ist da vor allem die Verwaltungsreform. Von der war zuletzt so viel die Rede, dass der dazugehörige Umstand – nämlich die Zusammenarbeit von CDU-Regierungschef Kai Wegner mit den Fraktionsspitzen der oppositionellen Grünen und Linken – gar nicht mehr gewöhnungsbedürftig schien. Und trotzdem bleibt es außergewöhnlich. Ein CDU-Chef mit Politikern an einem Tisch, die für einige in seiner Partei bloß Kommunisten sind? Eine Linksfraktion wiederum, die bei der Reform eng mit einer Partei zusammenarbeitet, die gerade nach der Vornamensdebatte Anfang 2023 viele als rassistisch betrachteten?

Konstruktiv heißt nicht Einheitsbrei

Die Reform, die Berlin so viel weiterbringen und in vielen Verwaltungsbereichen schneller und effizienter machen könnte, ist auf dem Weg, trotz aller noch zu erwartender Diskussionen im Parlament. Die Frage ist: Warum sollte mit dieser Zusammenarbeit Schluss sein, wenn die Reform spätestens am 10. Juli beschlossen ist, der letzten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses vor der Sommerpause? Warum können schwarz-rote Koalition und oppositionelle Grünen und Linke nicht weiter konstruktiv zusammenarbeiten?

Es geht nicht darum, Kritik einzustellen, nicht länger Fehler und Regierungsversagen herauszustellen. Es geht darum, ob all das konstruktiv oder destruktiv passiert. Muss eine Opposition bei einem kleinen Manko eines grundsätzlich sinnigen Regierungsprojekts die Sache komplett runterreden? Kann umgekehrt nicht die schwarz-rote Koalition endlich mit dem Modus auch voriger Koalitionen brechen, selbst weiterbringende Anträge und Änderungsideen der Opposition fast grundsätzlich abzulehnen?

Ungezählte Umfragen der vergangenen Monate haben eines deckungsgleich ergeben: Vertrauen in Demokratie und den Staat wird sich nicht durch Demokratiekurse und reine Diskussionen zurückgewinnen lassen, sondern durch schlichtes Funktionieren des Staates, also in dem Fall des Landes Berlin.

Einfach gesagt: Die Mehrheit der Wählerschaft setzt nicht auf große Ideale und die Rettung der Welt, sondern hat dann Vertrauen in den Staat, wenn der dafür sorgt, dass es sauber, sicher, bezahlbar und pünktlich zugeht. In einem Kommentar im Wahlkampf war zu lesen, die Unpünktlichkeit des Staatsunternehmens Deutsche Bahn sei das größte Werbeprogramm für die AfD.

Auch das schier Banale ernst nehmen

Was aber würde nach gängigem Muster passieren, wenn der schwarz-rote Senat morgen Sauberkeit, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit zu vorrangigen Regierungszielen erklärte? „Provinziell“, würde es mindestens von der Opposition heißen. Es würde gehöhnt, Berlin könne ja mitmachen beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“.

Warum muss das so sein? Nur um sich beim Parteiabend im heimischen Kreisverband über einen vermeintlich provinziellen Regierungschef lustig machen zu können, der doch besser mal bei sich daheim Spandauer Dorfschulze geworden wäre. Es gab Zeiten, da konnte Berlin sagen: So sind wir halt, wer hier wohnt, will das Unaufgeräumte und Schangelige und Chaotische, das mache diese Stadt doch aus, alles andere ist Blockwartmentalität.

Das dürfte schon immer eine abgehobene Sichtweise gewesen sein. Heute aber gibt es die AfD, die jede überquellende Mülltonne als Beleg für ihr Mantra nimmt, dass der Staat in seiner jetzigen Form abgewirtschaftet habe. Und dass die auch in Berlin keine Kleinpartei im einstelligen Prozentbereich mehr ist, hat vor sieben Wochen die Bundestagswahl gezeigt.

Warum nicht von CDU bis Linke, mit allen Vorfeldorganisationen und anverwandten Communitys einen breiten Konsens darüber herstellen, dass Berlin beispielsweise nicht deswegen die viel zitierte „Stadt der Freiheit“ ist, weil hier jeder seinen Müll auf die Straße werfen kann? Wenn es beim als zuvor unendlich dröge geltenden, aber in gleicher Weise ungemein wichtigen Thema Verwaltungsreform geklappt hat, sich auf Gemeinsamkeiten zu verständigen, warum dann nicht auch hier?

Unterschiede für die Wahl bleiben genug

Parteigrundsätze bräuchte dafür niemand zu kippen – ein Lob auf Dreck und Unzuverlässigkeit gibt es weder bei der CDU noch der Linken im Programm. Und Berlin hätte damit genauso einen „starken Plan“, wie ihn Friedrich Merz im Koalitionsvertrag sieht. Einen parteipolitischen Einheitsbrei braucht deshalb niemand zu befürchten: Unterscheidungsmerkmale für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2026 gibt es jenseits davon noch genug.

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