piwik no script img

Nach Anschlag auf Essener Sikh-TempelZu jung für die Erfassung

Dem NRW-Verfassungsschutz ist es verboten, Infos über Minderjährige zu speichern. Sind junge Isamisten eine neue Herausforderung für die Behörden?

Für die Sicherheitsbehörden stellen Minderjährige eine Herausforderung da, denn sie genießen einen besonderen Schutz Foto: dpa

Köln taz | Das genaue Motiv ist noch unklar – und auch, ob es Drahtzieher im Hintergrund gab. Nach ihrer Festnahme am Donnerstag haben zwei 16-Jährige den Bombenanschlag auf den Essener Sikh-Tempel teilweise gestanden. Die Ermittler gehen weiterhin davon aus, dass die beiden Jugendlichen den Anschlag nicht im Alleingang planten. Das Alter der mutmaßlichen Bombenleger dürfte sie aber ebenfalls beschäftigen.

Mit Minderjährigen tritt eine neue Generation von islamistischen Extremisten auf den Plan. Erst vor wenigen Wochen rammte eine 15-Jährige in Hannover einem Polizisten ein Messer in den Hals. Die Schülerin war in Propagandavideos des Salafistenpredigers Pierre Vogel aufgetreten und hatte versucht, nach Syrien auszureisen. Die Altersgrenze nach unten scheint offen: Im vergangenen Sommer wurde ein 13-Jähriger an der türkisch-syrischen Grenze aufgegriffen, auch er wollte sich dem IS anschließen. Allmählich scheint die Saat aufzugehen, die Salafisten durch jahrelange Agitation gesät haben: Immer mehr Teenager, radikalisiert über Koranverteilaktionen, Internethassvideos und Facebookgruppen, verschreiben sich dem Terror.

Für die Sicherheitsbehörden stellen minderjährige Islamisten eine Herausforderung da, denn sie genießen einen besonderen rechtlichen Schutz. Ihre Daten dürfen eigentlich nicht erfasst werden. „Da muss schon Erhebliches vorliegen“, heißt es seitens des Verfassungsschutzes. Das Bundesverfassungsschutzgesetz erlaubt Ausnahmen, wenn eine „erhebliche Gefahr für Leib oder Leben einer Person abgewehrt werden muss“. Das sei etwa der Fall, wenn ein 15-Jähriger im Internet mit IS-Flagge posiere und sich damit brüste, in den Heiligen Krieg zu ziehen. Dann erfolgt ein Eintrag in eine bundesweite Verbundkartei namens NADIS, auf welche auch die Länder Zugriff haben. Dieser Eintrag muss bei Minderjährigen aber nach spätestens zwei Jahren wieder gelöscht werden.

Auch die Jugendlichen des Sikh-Tempel-Anschlags in Essen waren „in Staatsschutzangelegenheiten“ aufgefallen, das bestätigt der Sprecher des NRW-Verfassungsschutzes, Jörg Rademacher. Nähere Auskünfte erteilt er nicht, nur dass die „Daten zur Verfügung standen und schnell der Polizei zur Verfügung gestellt wurden“. Nach Recherchen des ARD-Politmagazins „Report München“ hatte einer der beiden, Yusuf T. aus Essen, engen Kontakt mit der islamistischen „Lohberger-Brigade“ und er soll auch bei der Koranverteilaktion „Lies!“ dabei gewesen sein. Zahlreiche Aktivisten dieser Koran-Kampagne landeten später beim IS.

Mehr Überwachung gefordert

Ob es diese oder noch weitere Hinweise sind, die den Behörden vorliegen, ist unklar. Jedenfalls sind sie nur durch die Verbunddatei NADIS abrufbar. Dem NRW-Verfassungsschutz ist es per Gesetz verboten, Informationen über Minderjährige zu speichern. Der innenpolitische Sprecher der CDU, Theo Kruse, kritisiert dies und fordert eine eigene landesweite Datenerhebung: „Sonst bleibt Nordrhein-Westfalen bei der Fahndung nach mutmaßlichen Terroristen auf glückliche Zufälle und Hilfe von außen angewiesen.“ Der Ruf nach verschärfter Überwachung ist nicht neu. Nach den Bombenfunden am Bonner Hauptbahnhof 2012 kritisierte der CDU-Innenpolitiker Peter Biesenbach, die Tatverdächtigen seien nicht ausreichend im Visier der Behörden gewesen.

Nordrhein-Westfalen gilt als Salafistenhochburg. Der NRW-Verfassungschutz beobachtet rund 600 gewaltbereiten Salafisten, rund ein Viertel von ihnen gilt als besonders risikobereit. Wie viele Minderjährige darunter sind, ist unklar. Für ganz Deutschland legte das BKA kürzlich Zahlen vor: Demnach waren unter den 800 Islamisten, die nach Syrien und Irak gereist sind, 40 Kinder und Jugendliche.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die übliche Taktik der Salamisten: Scheibchen für Scheibchen kommt man auch ans Ziel.

     

    Totalüberwachung? Nein, danke!