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NSU-Ausschuss in Baden-Württemberg„So ist das bei uns“

Im baden-württembergischen Landtag sollen Polizeibeamte NSU-Ermittlungspannen erklären. Stattdessen liefern sie weitere Widersprüche.

Ein Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss. Bild: dpa

STUTTGART taz | Es ist die erste öffentliche Sitzung des Stuttgarter Untersuchungsausschusses, nachdem neue Beweismittel aus dem ausgebrannten Wagen eines toten Zeugen aufgetaucht sind. Beweismittel, die die ermittelnden Polizeibeamten im Autowrack von Florian H. offenbar übersehen haben, darunter der Autoschlüssel, eine Gasdruckpistole und eine Machete. Am Montag hatte der Ausschuss mutmaßliche Verantwortliche für diese Nachlässigkeiten geladen.

Florian H. war am Tag, an dem er über den Mord an der Polizistin Kiesewetter aussagen sollte, in seinem Auto auf einem Stuttgarter Festplatz verbrannt. Die Ermittler gingen früh von einem Selbstmord aus. H. ist damit einer von drei Zeugen aus dem NSU-Komplex, die unter merkwürdigen Umständen ums Leben kamen. Zuletzt verstarb vor rund zwei Wochen eine seiner Freundinnen an einer Lungenembolie.

Die Kriminalbeamtin Astrid B. soll dem Stuttgarter Untersuchungsausschuss nun Auskunft darüber geben, wie die wichtigen Asservate im Wagen von Florian H. von den Ermittlern übersehen werden konnten. Sie war während der gesamten Untersuchung des ausgebrannten Autos anwesend, der Abschlussbericht der kriminaltechnischen Untersuchung trägt ihre Unterschrift. Doch zuständig oder gar verantwortlich will die Beamtin an jenem Tag nicht gewesen sein.

Sie habe nur eine junge Kollegin darin eingewiesen, wie man ein solches Fahrzeug für die Kriminaltechnik fotografiere. Ja, sie sei vom Sachbearbeiter darum gebeten worden, im sichergestellten Fahrzeug nach dem Autoschlüssel zu suchen, habe aber nur eine „grobe, oberflächliche Nachschau“ betrieben. Sie habe am Tatort nichts verändern wollen. Ja, sagt sie mit verschränkten Armen, der Abschlussbericht trage ihre Unterschrift, aber verantwortlich für den Inhalt sei der Sachbearbeiter K., gegen den inzwischen ein Disziplinarverfahren wegen der Sache läuft. „So ist das bei uns“, sagt sie.

Neue Widersprüche

Das lässt selbst den ehemaligen Justizminister Ulrich Goll (FDP) ratlos zurück. Und die Grünen-Abgeordnete Petra Häffner resümiert: „Sie waren für nichts zuständig, aber die ganze Zeit da.“

Auch die Befragung einer weiteren Kriminalbeamtin offenbarte Widersprüche. Vor dem Ausschuss hatte am Morgen ein Fahrlehrer ausgesagt, er habe am Tag des Todes von Florian H. das Auto mit dem vermutlich schlafenden Mann darin gesehen und später eine Person rauchend neben dem Auto beobachtet. Das habe er gegenüber der Polizei auch so ausgesagt. Die Beamtin Elke A. sagte dem Ausschuss dagegen, der Fahrlehrer habe in seiner Aussage berichtet, keine Personen gesehen zu haben.

Die Vernehmung einer weiteren Freundin von Florian H. fand am Nachmittag in nichtöffentlicher Sitzung statt.

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1 Kommentar

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  • Es geht hier um Mord und die amtliche Vertuschung von Mord, also: Strafvereitelung im Amt. Der zuständige Staatsanwalt hatte bereits nach acht Stunden die Polizei angewiesen, die Ermittlungen hinsichtlich Florian H.s Todesursache einzustellen, da diese klar sei, nämlich Selbstmord. Wer wies diesen Staatsanwalt dazu an? - Die Polizei macht natürlich, was Staatsanwälte ihr sagen. Den beteiligten Polizistinnen und Polizisten muß jetzt klargemacht worden sein, daß es besser sei, vor dem Untersuchungsausschuss als unfähige, verträumte und schlampige Trottel dazustehen - als die Wahrheit zu sagen. Von wem? - Kommen wir zum Kern der Sache: Florian H. und Melissa M. mußten sehr wahrscheinlich deshalb sterben, weil sie nach Ansicht derjenigen, die in den Heilbronner Polizistenmord verstrickt sind, etwas wußten, das diesen hätte gefährlich werden können. Das heißt aber auch, daß die toten Böhnhardt und Mundlos allenfalls am Rande etwas mit dem Polizistenmord zu tun gehabt haben könnten (wenn überhaupt!), daß sie keinesfalls die Haupttäter sind, sondern diese am Leben und in Freiheit sind und unerkannt weitermorden (bzw. morden lassen). Dank einer Polizei, die lieber nicht mehr wissen will, wer ihre Kollegin ermordet hat, wenn ihr dies von höherer Stelle so angeordnet wird, und die aus gleichem Grund auf Mordermittlungen verzichtet, auch wenn alles auf Mord hindeutet.