NS-Helfer in Den Haag: Das Recht zu wissen, wer die Angehörigen verriet
Es ist überfällig, dass Kollaborations-Akten aus der NS-Zeit freigegeben werden. Besser wäre es aber, wenn die Akten digital zugänglich wären.
A leid Wolfsen hat einen Punkt. Der Chef der niederländischen Datenschutzbehörde erklärte kurz vor dem Jahreswechsel: „Man kann nicht zu jemand sagen: Sie sind jetzt 90 Jahre alt, Ihre Privatsphäre ist weniger wichtig!“ Damit meinte er noch lebende Personen, über die im Archiv der Kollaboration mit den Deutschen beschuldigter Niederländer*innen Akten angelegt sind. Diese hätten an diesem 2. Januar online allgemein zugänglich werden sollen – was Wolfsens Behörde unter Berufung auf die Privatsphäre im letzten Moment verhinderte.
Die Behörde beruft sich auf Verstöße gegen das Datenschutzgesetz. Das zuständige Nationalarchiv betont dagegen, man habe sich bei dem Projekt an alle Vorschriften gehalten und sei mit Angehörigen von Kollaborateur*innen regelmäßig in Kontakt gewesen. Die Entscheidung zeigt, wie heikel das Thema Zweiter Weltkrieg nach wie vor ist in diesem Land. Vorerst ist nur der klassisch analoge Zugang zu den Akten möglich.
Dass eine allgemeine Öffnung der Archive nur in Übereinstimmung mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen geschehen kann, ist unbestritten. Rechtsstaatliche Bestimmungen sind dazu da, um sie einzuhalten. Es wird weitere Verhandlungen benötigen zwischen Angehörigen von Opfern und Täter*innen sowie juristischen und historischen Expert*innen, um sich auf die Modalitäten einer vollständigen Öffnung der Archive zu verständigen. Dieses Ziel nämlich wird zwar vorerst aufgeschoben, deswegen aber nicht aufgehoben – und das sollte es auch nicht.
Digital ist alternativlos
Vielmehr ist der allgemeine digitale Zugang zu den Akten alternativlos – gerade in Zeiten, in denen die letzten Zeitzeug*innen sterben und sich weltweit Fachleute fragen, wie man die Erinnerung an den Holocaust für künftige Generationen lebendig hält. In Zeiten, in denen Antisemitismus grassiert, wie man es vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. In denen Geschichte umgedeutet wird, Donald Trump seine Gegner*innen als „Faschisten“ bezeichnet oder Wladimir Putin die seines autoritären Russlands als „Nazis“. In denen AfD oder FPÖ nach der Macht greifen und ihre europäischen Partnerparteien diese schon haben – auch in den Niederlanden.
Ein möglichst barrierefreier Zugang ist in diesem Kontext auch von großem Belang für die internationale Forschung. Vor allem aber ist es eine gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber oft (hoch-)betagten Angehörigen, die nicht nur jahrzehntelang mit den Löchern leben mussten, die ihre ermordeten Familienmitglieder hinterließen, sondern nicht einmal Informationen darüber hatten, wer von ihren Landsleuten sie einst verriet.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören