NS-Erbe der Bundesanwaltschaft: Braune Kontinuitäten
Reihenweise NSDAP-Mitglieder: Eine Studie attestiert der Bundesanwaltschaft in den Nachkriegsjahren einen fehlenden Bruch mit der NS-Zeit.
Tatsächlich ist es kein Ruhmesblatt, das eine nun vorgestellte, 600 Seiten starken Studie der Bundesanwaltschaft attestiert. Vier Jahre lang hatten der Historiker Friedrich Kießling und der Rechtsprofessor Christoph Safferling die Geschichte der Behörde von 1950, dem Neustart nach der NS-Zeit, bis 1974 untersucht. Sie konnten erstmals komplett das Archiv der Bundesanwaltschaft einsehen, auch vertrauliche Akten.
Das Ergebnis: Die Bundesanwaltschaft wurde damals maßgeblich von einstigen NSDAP-Mitgliedern geführt, einen personellen Bruch mit dem NS-Zeit gab es nicht. So seien noch 1953 rund 80 Prozent der Juristen der Behörde auch schon vor 1945 im NS-Justizsystem tätig gewesen. Bei den leitenden Bundes- und Oberstaatsanwälten waren es auch zehn Jahre später noch 75 Prozent. Zehn von elf Bundesanwälten seien 1966 ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen. Auch in den Siebziger Jahren sei der Anteil „noch erheblich“ geblieben.
Gerade mit Blick auf den damals stattfindenden gesellschaftlichen Umbruch in Deutschland sei diese Form der NS-Kontinuität erstaunlich und „häufig nicht gesehen worden“, konstatieren die Forscher.
Suche nach Expertise statt nach unbelastetem Personal
Als Grund benennen sie, dass die Behörde nicht aktiv nach unbelastetem Personal suchte. „An erster Stelle stand die fachliche Expertise.“ Dabei hätte es – angesichts Tausender von den Nationalsozialisten aus dem Amt gedrängten Juristen – Alternativen gegeben. Stattdessen habe sich eine Juristenclique aus dem früheren Reichsgericht und der Reichsanwaltschaft in Leipzig ab 1950 wieder in der Bundesanwaltschaft zusammengefunden, die sich „wechselseitig empfahl und deckte“.
Schon damals zum Skandal wurde der 1962 ernannte Generalbundesanwalt Wolfgang Fränkel. Er musste zugeben, dass er 1936 bis 1943 in der Reichsanwaltschaft in Leipzig auch bei nichtigen Anlässen auf mehrere Todesurteile gedrängt hatte. Er musste nach nur vier Monaten gehen. Strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Konsequenzen hatte sein früheres Schaffen nicht – ebenso wenig für alle anderen Juristen der Bundesanwaltschaft, die etwa an NS-Sonder- oder Militärgerichten mitwirkten.
Auf der anderen Seite führte die Behörde ab 1956 mit Max Güde auch ein früheres NSDAP-Mitglied, der laut Studie Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt hatte und bei seiner Einführung das Mitwirken der Justiz am NS-Regime klar benannte.
Fokus auf Kommunistenverfolgung
Dass sich die Behörde wenig um eine NS-Aufarbeitung kümmern musste, lag auch am damaligen Arbeitsfokus, der ab 1950 weitgehend die Kommunistenverfolgung war. Im rechtsextremen Bereich habe es dagegen keinen „systematischen Zugriff“ gegeben. Ausnahme seien die Verfahren 1956 gegen den „Naumann-Kreis“ gewesen oder später gegen den Publizisten Friedrich Lenz.
Auf dieser Grundlage sei der Übergang der Behörde in den demokratischen Rechtsstaat dennoch „erstaunlich gut“ gelungen, befinden die Autoren. Dazu beigetragen habe das Selbstverständnis ab 1950, einzig „Diener des Rechts“ zu sein und sich gegen Zugriffe der Politik zu verwehren – wenn auch es diese vereinzelt weiter gegeben habe. Eine Abnabelung, die indes auch zur Entfremdung der gesellschaftlichen Umbrüche führte und 1962 auch zur Spiegel-Affäre. So blieben die Juristen damals letztlich „Staatsfreunde, die der offenen Gesellschaft auch 25 Jahre nach der Bonner Republikgründung im Grunde misstrauten“, heißt es bilanzierend.
Der amtierende Generalbundesanwalt Frank beteuerte bei der Studienvorstellung am Donnerstag, die Aufklärung solle kein Schlusspunkt sein. Wichtig sei für seine Behörde auch heute, „wachsam zu bleiben“, gegen äußere Bedrohungen und ein rein rechtstechnisches Arbeitsverständnis. Es brauche stets auch eine „ethische Fundierung“.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, sie begrüße es sehr, dass sich die Bundesanwaltschaft mit ihrer „belasteten Vergangenheit“ auseinandersetze. Als Organ des Staatsschutzes könne es seiner Verantwortung nur gerecht werden, „wenn man die eigene Vergangenheit kennt, wenn man sie reflektiert und sich mit ihr kritisch und offen auseinandersetzt“.
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