NRW muss den Kommunen helfen: Über die Wupper

Egal, wer in NRW künftig regiert – Städte wie Wuppertal brauchen dringend Hilfe. Über Jahre haben Bund und Länder den Kommunen Aufgaben aufgebürdet, ohne Ausgleich.

Die Wuppertaler Schwebebahn. Nach einer Modernisierung aus Sicherheitsgründen fährt sie seit April 2010 wieder. Bild: Axel Schwenke – Lizenz: CC-BY-SA

Es geht nicht mehr aufwärts. Die Rolltreppe, die aus dem Fußgängertunnel am Bahnhof hoch zur Bushaltestelle führt, steht still. Seit Jahren schon. Sie ruht wie vergessen. Passanten huschen an der weiß-roten Absperrflanke vorbei, schnellen Schrittes die Treppe rauf. In den Rillen der Rolltreppe rotten Zigarettenstummel vor sich hin. Und auf den Stufen wächst grünes Moos.

Wuppertal ist pleite. 1,8 Milliarden Euro Schulden hat die Stadt, in diesem Jahr könnte die 2-Milliarden-Marke durchbrochen werden. Das ist mehr als das Doppelte von dem, was die Stadt jährlich einnimmt. Umgerechnet steht jeder der 355.000 Bürger mit mehr als 5.500 Euro in der Kreide. Der Zinsdienst erdrückt die Kommune. Aus eigener Kraft, das sagen alle hier, wird Wuppertal niemals aus seinen Schulden herauskommen.

Protest: Ob Bochum, Essen, Dortmund oder Wuppertal - die Kommunen an der Ruhr und im Bergischen Land leiden unter hoher Arbeitslosigkeit und einer schwachen lokalen Wirtschaft.

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19 Städte der Region haben sich daher zum "Aktionsbündnis Raus aus den Schulden" zusammengetan. Sie repräsentieren 6 Prozent der Einwohner aller deutschen Städte und Gemeinden, aber mehr als 32 Prozent aller kommunalen Schulden. Ihre Forderungen: ein Entschuldungsfonds, mit dem das Land die Städte unterstützt, und die strikte Einhaltung des sogenannten Konnexitätsprinzips, wonach Bund und Land den Kommunen keine Aufgaben mehr übertragen dürfen, ohne dafür zu zahlen.

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Hilfe: NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) hat den 19 Kommunen Unterstützung in dreistelliger Millionenhöhe zugesichert. Das Bundesfinanzministerium prüft Vorschläge für eine Reform der kommunalen Finanzen, etwa die Gewerbesteuer durch eine weniger konjunkturanfällige Abgabe zu ersetzen oder den Kommunen einen höheren Anteil der Mehrwertsteuer zu überlassen. (bk)

Inzwischen scheut sich sogar der Umgebungsplan am Bahnhof, Ankommende mit großen Versprechen zu begrüßen. Rostrot sind die öffentlichen Gebäude dort eingefärbt, unter dem Hallenbad steht "z. Zt. geschl.", ein paar hundert Meter Luftlinie weiter "Schausp. Hs. (z. Zt. geschl.)".

Wuppertal ist ein drastisches, aber nicht das einzige Beispiel in NRW. Vor einigen Tagen, im Wahlkampf, sprach Angela Merkel vielleicht auch deswegen hier vorm Rathaus. Am Morgen hatte sie im Bundestag für die unbeliebten Griechenlandhilfen geworben, auf dem Johannes-Rau-Platz pfiffen Protestanten sie aus. Städte wie Wuppertal sind griechische Inseln mitten in Deutschland, die in den vergangenen Jahren still und leise in ihren Schulden versunken sind. Weil sie sich nicht rechtzeitig auf den Strukturwandel eingestellt haben. Weil sie mit windigen Leasinggeschäften ihren Haushalt retten wollten. Vor allem aber auch, weil Bund und Länder sie in die Schuldenfalle hineingetrieben haben. Egal wer - über die Finanzlage der Städte wird die neue Landesregierung nicht mehr hinwegsehen können.

Als Wuppertal vor einiger Zeit ankündigte, das Schauspielhaus nicht nur vorübergehend, sondern für immer zu schließen, ging bundesweit ein Aufschrei durch die Feuilletons. Theaterensembles aus ganz NRW reisten zu Protestaktionen an, der Deutsche Bühnenverein bezeichnete die Ankündigung als "nicht hinnehmbar".

Alfred Lobers leitet die Finanzabteilung im Wuppertaler Rathaus, der Herr im Anzug ist der Verwalter der leeren Kassen. Er gießt Kaffee ein und zeigt fast schon verzweifelte Freude darüber, wie viel Wirbel die Schließungspläne ausgelöst haben. Ein gelungener Mediencoup, bittere PR für die Not der Stadt. Das mit dem Theater, sagt Lobers schon zynisch, "das haben wir gut gemacht, nicht wahr?" Die Stadt will ihr Unglück herausschreien.

Lobers legt einen Stapel ausgedruckter Präsentationsfolien auf den Tisch. Mit diesem Vortrag zieht er seit Wochen durch die Stadt, gleich um zehn Uhr ist er beim Personalrat eingeladen. Seine Botschaft ist klar: "Wir sind nicht schuld an der Misere. Und ich kann es beweisen."

Der Beweis beginnt auf Folie fünf: "Entwicklung der strukturellen Fehlbeträge 1992 bis 2000". Anfang der 90er-Jahre liegt die Kurve bei null, die Stadt erwirtschaftete sogar einen kleinen Überschuss. Dann neigt sich die Kurve ins Minus. "Seit 1993 müssen wir jedes Jahr 20 Millionen in den Fonds Deutsche Einheit bezahlen." Bis zum Jahr 2000 führt die Kurve mal etwas nach oben, mal etwas nach unten, durchbricht aber nie die Nulllinie. Das Minus zur Jahrhundertwende beträgt 24,7 Millionen Euro. "Damit waren wir damals schon ganz nah am Haushaltsausgleich", sagt Lobers.

Lobers braucht eine neue Folie mit einem Diagramm, das unten sehr viel mehr Platz hat, um zu zeigen, was dann passiert. Im Jahr 2000 fällt die Kurve steil ab - auf ein Defizit von 108,1 Millionen Euro. Damals beschloss die rot-grüne Bundesregierung Steuersenkungen für Unternehmen. Die Folge für die Städte: Auch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sanken drastisch, in Wuppertal von 150 auf nur noch 95 Millionen. "Und aus diesem Keller", sagt Lobers, "sind wir in den letzten zehn Jahren nicht wieder herausgekommen."

Im Gegenteil: Die Weltwirtschaftskrise hat Wuppertal im vergangenen Jahr hart getroffen; in der Stadt sind viele Autozulieferer ansässig, die vom Export abhängen. Die Gewerbesteuereinnahmen stürzten weiter ab. Und dann trat im Januar das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Kraft. Die Steuersenkungen für Hoteliers und Familien beschleunigten in Wuppertal bislang nur das Wachstum der Verschuldung. 8,35 Millionen Euro weniger nimmt die Stadt jedes Jahr ein. Das Schauspielhaus hätte mit dem Geld gut über die Runden kommen können.

Das Muster ist stets dasselbe: Bund und Länder beschließen Gesetze, die die Kommunen teuer zu stehen kommen - ohne dass diese überhaupt mitreden könnten. Man lädt ihnen Aufgaben auf, aber gibt ihnen nicht das Geld dafür. Wuppertal, einst geprägt durch die Textilindustrie, hat heute eine Arbeitslosenquote von über 12 Prozent. Für die Mietkosten der Hartz-IV-Empfänger, so will es das Gesetz, sind die Kommunen zuständig. In den vergangenen fünf Jahren sind diese von 89 auf 120 Millionen Euro gestiegen - während der Bund Schritt für Schritt seinen Zuschuss zurückgefahren hat, von knapp 30 auf jetzt nur noch 23 Prozent.

Und so ist die Lücke im Budget der Stadt heute gewaltig: 220,5 Millionen Euro müsste Wuppertal einsparen, wenn es einen ausgeglichenen Haushalt erreichen wollte. Mit dem Abbau der fast 2 Milliarden Euro Schulden aus der Vergangenheit wäre noch nicht einmal begonnen. "220 Millionen Euro einsparen, das können wir nicht", sagt Lobers. "Wir trauen uns 80 Millionen zu. Unter großen Schmerzen." 80 Millionen Euro heißt unter anderem: mehrere Schulen, Bürgerbüros, Schwimmbäder und zwei Stadtteilbibliotheken schließen. Der Stadtrat wird um sechs Mandate verkleinert. Der Eintrittspreis für den Zoo steigt. Die Wuppertaler Verwaltungsoberen haben sich sogar überlegt, auf der Stadtautobahn häufiger zu blitzen - und mussten sich vom Land belehren lassen, dass Radarkontrollen der Verkehrssicherheit dienen und nicht der Geldbeschaffung.

So langsam stellt sich die Frage, was eine Stadt überhaupt noch ausmacht. Was braucht man eher, um Bewohner zu halten und Unternehmen anzulocken - Kitas oder Schulbibliotheken, Theater oder Busse? Das Dilemma zeigt sich am Beispiel des Bahnhofsbereichs, der nach Jahren endlich neu gemacht werden soll - inklusive Rolltreppe. Mit 35 Millionen Euro beteiligt sich die Stadt an dem Vorhaben, das ist nur ein kleiner Teil der Baukosten, aber selbst der ist umstritten.

Wuppertal steckt in einem Teufelskreis. Die Stadt ist mittlerweile so klamm, dass sie nicht einmal mehr an Fördergelder kommt, die eigentlich für strukturschwache Städte gedacht sind. Um Geld aus den Fördertöpfen von Land, Bund oder EU zu erhalten, muss die Stadt in der Regel selbst einen Anteil beisteuern. Das wiederum verbietet das Land, das streng wacht über jede Ausgabe der Stadt, die nicht zu den Pflichtaufgaben zählt.

Wer nach einem Beispiel für diese absurde Fördersituation sucht, muss nur hinauf in den Nordpark gehen. Auf einem der vielen Hügel liegt ein großer Spielplatz. Ein schöner Ort für die Kinder aus den armen Vierteln im Umkreis. Allerdings müsste der Spielplatz dringend saniert werden.

Das Holz der beiden Häuschen bröselt, die steinerne Tischtennisplatte erinnert an die 70er-Jahre, genauso die spartanische Rutsche. Die Stange am Turngerüst ist durchgebogen. Rund 200.000 Euro würde die Sanierung kosten, Geld dafür könnte es aus einem Programm zur sozialen Stadtentwicklung geben. Mit 20.000 Euro müsste sich die Stadt beteiligen - nur, sie darf nicht.

Gerne würde die Bevölkerung einspringen. Der Nordstädter Bürgerverein hat angeboten, den Anteil der Stadt zu übernehmen. Der Vereinsvorsitzende Dieter Mahler geht durch den Park, zeigt auf das Beet mit den gelben und violetten Primeln, die die Bürger zum Frühjahr gestiftet haben, auf den Bouleplatz und das Wildgehege, das der Verein vor Jahren angelegt hat. Die Spielplatzsanierung wäre für den Pensionär Mahler eine Ehrensache.

Das Land hat seine Förderbestimmungen daraufhin so geändert, dass Bürger und Vereine notfalls den Anteil der Stadt übernehmen dürfen. Das Problem: Die Änderung gilt nicht, weil auch Bundesmittel im Förderprogramm stecken. Und Berlin erlaubt nicht, dass Städte ihren Anteil auf Dritte abwälzen. Für diese Regel gibt es gute Gründe, aber beim Wuppertaler Spielplatz erweist sie sich als absurd.

Der Bürgervereinsvorsitzende Mahler lässt nicht locker. Er hat sich an den Wuppertaler Bundestagsabgeordneten Peter Hinze gewandt. Hinze war mal Generalsekretär der CDU, jetzt ist er Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. "Dass unser Abgeordneter so prominent ist, ist ein glücklicher Zufall", sagt Mahler. Immerhin: Hinze habe zugesichert, sich direkt beim zuständigen Ministerium für den Fall einzusetzen.

Ob in einem armen Wuppertaler Viertel ein Kinderspielplatz saniert werden kann, entscheidet nun wohl das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin. "Wir hier", sagt Mahler, "stehen jedenfalls Gewehr bei Fuß."

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